Faßmann: „Es gibt keine Ghettoklassen“

Das Bildungsressort wanderte in die Hände eines Universitätsprofessors und Integrationsexperte .  Der neue Bundesminister Prof. Dr. Heinz Faßmann  ist zuständig für Bildung, Wissenschaft und Forschung.   Im vergangenen Monat präsentierte der 62-jährige Minister die Pläne für Deutschförderklassen, in die ab Herbst 2018 jedes Kind mit Deutschdefiziten gehen muss.

KOSMO  sprach mit Bildungsminister Faßmann über die Pläne und die Kritik der Opposition, über Förderklassen, Sprachdefizite aber auch über die Chancen alter und neuer Migranten am Arbeitsmarkt.

Kritiker werfen Ihnen vor, dass die neuen Deutschförderklassen eigentlich „Ghettoklassen“ sind. Wie gehen Sie mit dieser Kritik um?

Faßmann : Der Begriff Ghettoklassen ist deplatziert. Das vorgelegte Modell ist ausgewogen und durchdacht. Es betrifft vor allem jene, die frisch nach Österreich kommen – die Querein-steiger und jene, die ohne Kenntnis der Unterrichtssprache in die Volksschule eintreten. Nehmen wir einen 10-jährigen Buben aus Syrien als Beispiel, der kein Wort Deutsch spricht. Es wäre nicht sinnvoll, ihn in eine Klasse zu stecken, wo er kein Wort versteht Die Deutsch-förderklasse ermöglicht ihm, rascher und effektiver in die deutsche Sprache zu erlernen, um später dem Unterricht folgen zu können und gut vorbereitet in das Regelschulsystem einzutre-ten. Niemand erwartet von ihm, dass er Deutsch wie Goethe spricht. Aber es soll ausreichend sein, um dem Unterricht folgen zu können und Unterhaltungen mit Mitschülern führen zu können. Mittlerweile ist mein Eindruck, dass die Zustimmung zu diesen Maßnahmen größer ist als die kritischen Stimmen.

Wie wird bestimmt, wann die Deutschförderklasse verlassen werden kann?

Fassmann: Es wird Tests geben, die die Kenntnisse objektiv abbilden. Mithilfe der Testergebnisse ent-scheidet der Schulleiter oder die Schulleiterin. Bei einigen wird ein Semester in der Deutsch-förderklasse ausreichend sein, was großartig ist, bei anderen wird ein zweites notwendig sein. Aber wir lassen die Kinder auch nach dem Übertritt in die Regelklasse nicht alleine. Es sind auch weitere Unterstützungsmaßnahmen vorgesehen, um ihre Deutschkenntnisse noch mehr zu festigen.

Wie sieht es mit der Deutschförderung im Kindergarten aus?

Fassmann: Ich bin mir bewusst, dass das ebenso ein wichtiger Punkt ist. Laut der Sprachstandsfeststellung haben 30% der Kinder von 3 bis 6 Jahren Defizite in der späteren Unterrichtssprache Deutsch. Besonders hoch ist der Anteil bei türkischen und arabischen Kindern. Ich persönlich wäre für ein zweites Kindergartenjahr für jene, die es wirklich brau-chen, aber es ist natürlich auch eine Sache der Finanzierung. Auch da werden wir entspre-chende Lösungen finden müssen.

Sie haben beim Antritt eine Bildungsreform mit 136 neuen Maßnahmen angekündigt. Was sind dabei die größten Ziele?

Fassmann: Ich würde das Ganze nicht als neue Bildungsreform bezeichnen, es gab in der Vergangenheit so viele Bildungsreformen. Derzeit geht es um die Umsetzung der letzten Reform, also um die Frage wie die Schule im Gesamten organsiert ist, von der Verantwortung des Bundes, der Länder, der Bildungsdirektionen bis zu der Autonomie der Schulen.

Was ist noch geplant, um die späteren Chancen von Migrantenkindern auf dem Ar-beitsmarkt zu verbessern?

Faßmann: Ich bin unglücklich mit dem Begriff Migrantenkinder. Kinder in der zweiten Generation sind oft österreichische Staatsbürger oder in Österreich groß geworden. Ich will sie daher nicht stigmatisieren mit dem Begriff Migrantenkinder, weil sie ihren Migrationsstatus längst abge-legt haben. Zu ihrer Frage: Wir wollen, dass man mit entsprechenden Qualifikationen das Pflichtschulsystem verlässt und die duale Ausbildung stärken. Ebenso liegt es am Schulsys-tem, besonders talentierten Kindern Möglichkeiten für weiterführende Schulen aufzuzeigen. Die Informationsarbeit ist in dieser Hinsicht von enormer Wichtigkeit, vor allem bei der El-ternarbeit, um die Eltern für die Bildung ihrer Kinder zu motivieren. Deswegen steht die El-ternarbeit auch in unserem Regierungsprogramm.

Ihre Heimat ist die Universität. Für diese haben sie sich „weniger Drop-Outs und kürzere Studiendauern“ gewünscht. Wie wollen Sie das erreichen?

Faßmann: Wir brauchen vor allem eine Verbesserung der Betreuungsverhältnisse. Es ist nicht befriedigend, dass auf einen Professor durchschnittlich 121 Studierende kommen. Manche sehen ihre Lehrenden nur ein, zwei Mal im Jahr. Das ist zu wenig.

Sie sind als Integrationsexperte bekannt, der sich naturgemäß auch sehr viel mit den verschiedenen Ethno-Communites auseinandergesetzt hat. Wie kommentieren sie die Lage der Ex-Yu-Community in Österreich?

Faßmann : Nun gehört Integration nicht mehr zu meinen Agenden, aber ich bin sehr optimistisch. Der Großteil der Ex-Jugoslawen hat es in die österreichische Mittelschicht geschafft oder ist auf dem besten Weg dahin.

Vielen  Dank.

Fotocredit: steiermark.at / Streibl


Wer ist Prof. Dr. Heinz Faßmann?

Heinz Faßmann (* 13. August 1955 in Düsseldorf) ist ein österreichischer Universitätsprofessor an der Universität Wien für Angewandte Geographie, Raumforschung und Raumordnung. Seit 8. Jänner 2018 ist er Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung der Republik Österreich.

Heinz Faßmann studierte von 1974 bis 1980 Geographie und Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien. Anschließend, von 1981 bis 1992, war er wissenschaftlicher Angestellter an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Kommission für Raumforschung; Institut für Demographie).

1991 habilitierte Faßmann an der Universität Wien. Seine venia legendi lautet Humangeographie und Raumforschung. 1996 wurde Heinz Faßmann zum C4–Professor für angewandte Geographie II (Geoinformatik) an die Technische Universität München berufen. 2000 wechselte er als Professor für Angewandte Geographie, Raumforschung und Raumordnung an die Universität Wien. 2006 wurde Faßmann zum Dekan der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie bestellt (bis 2011) und zum Direktor des Instituts für Stadt- und Regionalforschung (ISR) der ÖAW ernannt. Von 2009 bis 2016 war er Mitglied des Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration.

Von 2011 bis 2015 war Heinz Faßmann Vizerektor für Personalentwicklung und internationale Beziehungen und von 2015 bis 2017 Vizerektor für Forschung und Internationales an der Universität Wien.

Faßmann war vielfach als Politikberater und Experte für die österreichische Bundesregierung tätig. Ab 2010 wurde er zum Vorsitzenden des „Expertenrats für Integration“ des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres gewählt. Ab 2014 war Heinz Faßmann Mitglied des „Migrationsrats für Österreich“ des Bundesministeriums für Inneres, welcher später in Migrationskommission umbenannt wurde.

Am 18. Dezember 2017 wurde Faßmann als Bundesminister für Bildung und Wissenschaft von Österreich angelobt und ist seither Mitglied der Regierung Kurz. Faßmann ist parteiunabhängig, wurde aber von der ÖVP für das Ministeramt nominiert. Aufgrund seiner Angelobung zum Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung legte er sein Amt als Vizerektor, den Vorsitz im Expertenrat und die Mitgliedschaft in der Migrationskommission vorzeitig zurück. Die Funktion als Direktor am Institut für Stadt- und Regionalforschung der ÖAW ist für die Amtszeit als Bundesminister ruhend gestellt.

Quellen:

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