„Ich möchte nie wieder Nichtmuslimin genannt werden“

von Monika Maron/ Quelle: Welt/Debatte

Eines Tages fragte mein Freund Ali über Facebook: „Wie oft hat man euch eigentlich schon als Nichtjuden, Nichthindus, Nichtbuddhisten bezeichnet?“ Als der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kurz darauf seine Freude darüber verkündete, dass Muslime und Nichtmuslime gemeinsam den Ramadan gefeiert hätten, dachte ich sofort an Ali, der als Alevit natürlich sensibel gegenüber muslimischen Vereinnahmungen und Ausgrenzungen ist.

 

Ich habe übrigens den Ramadan nicht mitgefeiert und war auch nicht bereit, das angemahnte Verständnis für die möglichen Aggressionen hungernder und durstender Muslime aufzubringen.

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Aber Alis Frage geht mir seitdem durch den Kopf, auch deshalb, weil ich es für möglich halte, dass ich das Wort Nichtmuslime selbst schon gebraucht habe, als wäre das normal. Dabei ist es doch ganz und gar nicht normal, wenn fünf Prozent einer Bevölkerung die Bezugsgröße für die anderen fünfundneunzig sind.

Ich glaube, das ganze Dilemma begann, als es irgendwann üblich wurde, alle Menschen, die aus islamischen Ländern kamen, als Muslime zu bezeichnen, ob sie wollten oder nicht. Eines Tages waren sie nicht mehr Iraner, Türken, Syrer, Iraker, sondern Muslime.

Damit folgte unser Sprachgebrauch genau dem islamischen Gesetz, nachdem jeder, der durch Abstammung als Muslim geboren wurde, ein Leben lang Muslim bleibt, ob er will oder nicht. Apostaten droht der Tod. Dabei würden die Türken und Syrer, die ich kenne, befragte man sie nach ihrem Selbstverständnis, alles Mögliche antworten: Deutsche, Deutschtürken, Deutschsyrer, Schauspieler, Jurist, Soziologin, Schriftsteller.

Iraner, Syrer, Ägypter, Türken

Auf keinen Fall würden sie behaupten, vor allem anderen Muslime zu sein, zumal einige von ihnen Christen sind, andere die Religion eher als Geschichte verstehen, ohne zu glauben. Aber in der deutschen Diskussion sind sie alle zu Muslimen geworden, in deren Namen nun Ayman Mazyek, Herr Alboga und Frau Özoguz ihre Ansprüche an alle anderen stellen.

Wenn man aber die Iraner, Iraker, Syrer, Ägypter, Türken ihrer nationalen Identität beraubt und sie stattdessen unter einer religiösen Identität vereint, bleibt das nicht ohne Folgen für alle anderen, die dann auch keine Deutschen mehr sind, sondern denen in Ermangelung einer gemeinsamen Religion eben die Bezeichnung Nichtmuslime verpasst wird; oder in der schlichten Sprache der deutschen Bundeskanzlerin „Menschen, die schon länger hier leben“.

Ich frage mich, warum wir vierhundert Jahre nach Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, der als Religionskrieg in die Geschichte eingegangen ist, die Gesellschaft wieder in Religionsgemeinschaften aufteilen und das auch noch als Beweis für unsere aufgeklärte und tolerante Gesinnung ausgeben; warum wir akzeptieren, dass sich unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit die absonderlichsten Sitten ausbreiten.

Und als eine, die gern Deutsche ist, wenn auch Nachfahrin polnisch-jüdischer Einwanderer, kann ich nicht verstehen, warum wir selbst die muslimische Geschlossenheit so leidenschaftlich vorantreiben, indem wir sie immer wieder benennen und betonen, statt die Syrer, Iraner, Palästinenser, Türken so wahrzunehmen wie uns selbst, als Einzelne mit einer anderen kulturellen Herkunft, die glauben dürfen, was sie wollen, allerdings ohne Auswirkungen auf alle anderen.
Wir machen Muslime

Denn gegen die muslimische Geschlossenheit, fürchte ich, haben wir auf Dauer keine Chance, wenn die Religion von uns selbst als das Trennende anerkannt wird, wenn wir selbst von Muslimen und Nichtmuslimen sprechen, was Gläubige und Ungläubige bedeutet. Ich jedenfalls will nie wieder Nichtmuslimin genannt werden.

Ich möchte übrigens auch nicht Muslima zu einer Muslimin sagen. Laut Wikipedia ist das die arabische weibliche Form von Muslim. Aber was soll dieses a im deutschen Sprachgebrauch? Nennen wir ein Polin „Polka“ oder Amerikaner „americans“? Wenn eine Muslimin sich lieber Muslima nennt, soll es mir recht sein, aber warum übernehmen Zeitungen und politische Repräsentanten eilfertig eine arabische Endung, die nur der Betonung muslimischer Andersartigkeit dienen soll?

Allerdings ist dieses kleine a harmlos im Vergleich zu einer anderen muslimischen Spracherfindung, der Islamophobie. Wenn ich den Islam kritisiere, bin ich islamophob, so ähnlich wie xenophob, fremdenfeindlich, rassistisch. Erfunden wurde dieser Begriff Ende der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts von islamischen Fundamentalisten, um dem Islam seine Unantastbarkeit zu garantieren.

Aber warum konnte er unter vernünftigen Menschen zu solcher Macht gelangen und die Grenzen zwischen Politik und Religion in unserem säkularen Land derart verschieben, dass religiös begründete mittelalterliche Sitten Einzug halten, die nicht einmal für fünf Prozent der Bevölkerung gelten, aber an den bis dahin selbstverständlichen Maßstäben aller anderen rütteln?

Ich interessiere mich nicht für den Koran

Ich bin nicht rassistisch und nicht xenophob, wenn ich nicht will, dass islamische Gebote und Verbote die Speisepläne in Schulen und Kantinen bestimmen, Karikaturen und zu freizügige Kunst auf den Index setzen, dass unter dem freiwillig oder unfreiwillig getragenen Schleier muslimischer Frauen sich schleichend unser Frauenbild verändert und es uns eines Tages vielleicht normal vorkommt, wenn Frauen als Teletubbies verkleidet in die Schwimmbecken springen.

Ich bin auch nicht xenophob und rassistisch, wenn ich nicht jeden Tag im Radio oder in der Zeitung aufgefordert werden will, mich für den Koran zu interessieren. Mich interessiert nicht, was in der Sure X steht und ob die Sure XY vielleicht das Gegenteil davon behauptet, mich interessiert auch nicht, ob etwas halal oder haram ist. Mich interessiert, was im Namen des Islam heute geschieht, in Deutschland und in der Welt, und ob der Islam sich selbst verändert oder uns.

Nach der Vorstellung maßgeblicher muslimischer Mitbürger sind es wohl die Deutschen, die sich verändern sollen. Naika Foroutan, Tochter einer deutschen Mutter und eines iranischen Vaters, Professorin für Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik und Erfinderin des Forschungsprojekts „Hybride europäisch-muslimische Identitätsmodelle (HEYMAT)“ träumt von den „Neuen Deutschen“, womit nicht nur die wirklich neuen Deutschen gemeint sind, sondern auch die alten, einschließlich der polnischen, vietnamesischen, russischen Zuwanderer, alle 95 Prozent eben, die sich in Hybridgeschöpfe verwandeln sollen, um den Bedürfnissen der fünf Prozent gerecht zu werden.

Ich bin auch dritte Generation Einwanderer.Nachdem unsere Integrationsministerin Aydan Özoguz zu der Erkenntnis gelangt ist, dass es eine deutsche Kultur jenseits der Sprache überhaupt nicht gibt, sollte es uns wohl nicht schwerfallen, das, was wir dafür gehalten haben, aufzugeben und einer anderen Kultur den gebührenden Platz einzuräumen. Oder wie soll ich das anders verstehen?

Meine Großeltern sind 1905 nach Deutschland eingewandert. Sie hatten vier Kinder, die alle Deutsche wurden, Deutsche mit polnischen Eltern. Ich bin die dritte Generation, eine Formulierung, die nichts mit meinem Lebensgefühl zu tun hat und die mir erst eingefallen ist, seit wir über die zunehmenden Probleme mit der dritten und vierten Generation muslimischer Einwanderer sprechen.

Der Islam ist, ob wir es wollen oder nicht, zu einem Teil unserer Lebenswirklichkeit geworden. Zu unserer Kultur gehört er nicht. Wenn er sich verträglich in die deutsche und europäische Kultur eingliedern will, muss er sich ändern. Und wir, wenn wir unsere Kultur und unsere Säkularität behalten wollen, müssen sie endlich verteidigen.“ (WELT, DEBATTE)

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