So macht man das: „Der ewige Türke“

von Birol Kilic

Mehr Verachtung und negative Vorurteile gegenüber Türk:innen in Österreich schaffen, Ressentiments gegen sie in Beton gießen, sie als Volksschädlinge bezeichnen, Delegitimation des Existenzrechts als Türk:in in Österreich, Dämonisierung der türkischen Bevölkerung in Österreich forcieren – dies alles können Sie am 18.01.2011 im ORF Bürgerforum mit dem Titel „Die Türken in Österreich – ewige Außenseiter?“ über sich ergehen lassen. Und alles hat man im Namen der Meinungsvielfalt gemacht, wobei vielen gebildeten Türk:innen mit kritischen und ehrlichen Meinungen im ORF Bürgerforum nicht die Möglichkeit gegeben wurde, zur Wort zu kommen. Es war einfach köstlich, aber im ungenießbaren und ziemlich abstoßenden Geschmacksbereich. Danke, Österreich – danke ORF. So macht man das.

Nein, der FPÖ-Obmann hat keinen Doktortitel, sehr wohl aber der SPÖ-Klubobmann Josef Cap, der sich anscheinend die Rhetorik des Herrn Strache angeeignet hat. Seine Aussagen beim ORF Bürgerforum lassen auf einen Kurswechsel bei der SPÖ hindeuten. Doch zunächst zu der Sendung selbst.

Welche „Türken“?

Der Titel des Bürgerforums im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, also finanziert durch die Steuern aller Bürger:innen (inklusive der türkischen Bevölkerung), lautete diesmal: „Die Türken in Österreich – ewige Außenseiter?“. Allein der Titel impliziert schon, dass „die Türken“ als Außenseiter gesehen werden. Der Titel könnte genauso „Der ewige Türke“ heißen, wie der berühmte NS-Film von Goebbels mit “Der ewige Jude“ betitelt wurde. Abgesehen davon bleibt auch offen, welche Bevölkerungsgruppe damit gemeint ist, denn eine homogene Gruppe der Türk:innen gibt es sowieso nicht.

Bei einem Punkt ist der Titel der Sendung treffend, nämlich dass es Außenseitergruppen in der österreichischen Gesellschaft gibt. Diese sind aber nicht „die Türken“, „die Serben“ oder „die Ausländer“, sondern es sind sozial benachteiligte Gruppen und darunter fallen auch sehr viele Einheimische! Rund eine Million Menschen in Österreich leben unter der Armutsgrenze. Selbst Arbeit schützt nicht mehr vor Armut. Viele gehören der Gruppe der „working poor“ an, was bedeutet, dass sie trotz eines Arbeitsplatzes zu wenig verdienen und unter der Armutsgefährdungsschwelle bleiben.

So gesehen, wäre folgender Titel passender: „Die Verarmten – ewige Außenseiter!“. Doch so ein Titel ist für die Medien und für die Politik überhaupt nicht anziehend. Dann müsste die Politik nämlich Initiative ergreifen und Maßnahmen gegen die Verarmung der Gesellschaft planen und umsetzen. Viel leichter ist es da, eine ethnische Gruppe für all die gesellschaftlichen Probleme verantwortlich zu machen und auf sie los zu schimpfen.

Die Politik und die Medien suchen leider in Österreich Sündenböcke, weil sie das wachsende Bevölkerungsdefizit der eingeborenen Österreicher:innen in verschiedenen sozialen Schichten aufgrund des Alleinseins, der ökonomischen Armut, der sich ständig erhöhenden Scheidungsrate (über 60 %), der Entwurzelung der wahren österreichischen Kultur und wegen verschiedenster Familiendramen nicht in den Griff bekommen.

Außerdem sieht die tatsächliche wirtschaftliche Lage nicht sehr rosig aus. Alle Zuseher:innen des Bürgerforums sollten sich über Österreich zuallererst Sorgen machen. Hier wurden Türk:innen in allen Bereichen als Volksschädlinge und Parasiten absichtlich oder unabsichtlich durch Politik, Medien und angeblichen Spezialist:innen dargestellt und es wurden in allen Bereichen die Dämme besonders gegenüber Ausländer:innen und speziell gegenüber Türk:innen dank des Sarrazin-Buchs gebrochen. Die türkische Bevölkerung in Österreich sollte sich schleunigst von den politischen Kräften, die in Österreich als „Verein“ existieren, distanzieren. Auf der anderen Seite sollte Österreich ebenso schleunigst diese Verächtlichmachung der Türkischen Gemeinde in Österreich beenden.

Auch in Goebbels Film „Der ewige Jude“ vom Jahre 1940 findet man ähnliche Szenarien. Der Film besteht aus einer Aneinanderreihung von Szenen, in welchen Juden als sozial niedrigstehendes, kulturloses, parasitäres Volk dargestellt werden. Die Bilder stammen weitestgehend aus Ghettos und wurden natürlich bewusst ausgewählt. Vor allem grinsen Personen, die ärmlich gekleidet, teilweise zahnlos und verschmutzt sind in die Kamera. Die gezeigten Örtlichkeiten sind dreckig und von Schädlingsinsekten befallen. Die bildlich dargestellte Wanderung der Juden aus Osteuropa wird mit der Wanderung von Ratten verglichen. Das konnte man im Jahre 2011 in abgewandelter, aktualisierter Form auch im ORF Bürgerforum sehen.

Kurz: Alle waren gegenseitig so lieb zueinander. Heutzutage haben die Türk:inen in Österreich nichts mehr zu verlieren, denn man spielt mit ihrer Ehre und ihrer Identität – in der Hoffnung, dass sie diese aufgeben und sich assimilieren. Die Türk:innen sind weder die damaligen Tschechen in Österreich, die in Ghettos und Baracken leben mussten, noch die Ungarn oder andere Bevölkerungsgruppen, die sich vor 100-150 Jahren in Österreich zwangsassimilieren mussten. Sie sind auch keine Geiseln in Österreich.  Man kann ihnen nicht sagen „Schleich dich in die Türkei“ oder „Geh heim“, weil Ihre Heimat Österreich ist.

Also wir haben hier eine Patt-Situation. Wir müssen aufpassen, wer hier der Brandstifter, wer der Feuerlöscher ist. Heutzutage hat Österreich als erstes dieses eben genannte Problem. Man kann nicht andere Nationen und Kulturen mit einer herabwürdigenden Art und Weise so durch unverschämte Worte und Taten behandeln.

Es wird folgendes passieren: Die österreichischen Politiker:innen haben keine Empathie bzw. diese verloren. Die fundamentalistischen und nationalistischen Kräfte werden diese Situation in Österreich ausnutzen und in unserer HEIMAT Österreich wird in Zukunft eine echte Parallel-Gesellschaft existieren, wenn die Hetze nicht eingestellt wird und die Vermischung der Brandstifter und Feuerlöscher nicht aufhört.

 

Vertauschte Rollen, Staatsmänner

Ungewohnt zahm zeigte sich während der Diskussion FPÖ-Obmann Strache. Ungewohnt angriffslustig hingegen SPÖ-Frontmann Cap. Angefangen von Parallelgesellschaften über Zwangsehen und patriarchalen Strukturen, bis hin zu Islamisten hat er all die Schlagwörter gebraucht, die wir in einer defizitorientierten Diskussion über Integration hören können. Da stellt sich aber die Frage, welche politische Partei seit Beginn der Gastarbeiter:innenmigration nach Österreich vor 46 Jahren in der Regierung war.

Bis auf die ÖVP-Alleinregierung von 1966 bis 1970 und die ÖVP-FPÖ-BZÖ-Regierungen von 2000 bis 2006 war die SPÖ immer in der Regierung. Wieso ist man die Probleme, die Herr Cap angesprochen hat, nicht angegangen? Bleibt auch der Widerspruch, warum dann die SPÖ gerade denjenigen „islamistischen“ Gruppierungen schmeichelt, vor allem rechtzeitig vor den Wahlen, anstatt mit konkreten Maßnahmen gegen die Probleme, die laut Cap in diesen Migrant:innengruppen vorherrschen, anzugehen? Versucht die SPÖ, die an die FPÖ verlorenen Wähler:innen anzusprechen? Positioniert sich die SPÖ nun weiter rechts, wo kein Platz mehr ist? Gleichzeitig lässt die SPÖ bei Wahlen dutzende muslimische Migrant:innen von unwählbaren Kandidat:innenlistenplätzen auf Wählerjagd ausschwärmen. Auch und vor allem Musliminnen! In diesem Zusammenhang stellen die hierarchischen Strukturen in den islamischen Migrant:innenvereinen anscheinend überhaupt kein Problem dar und es gibt gar keine Berührungsängste.

Übrigens hat ja die SPÖ, wie Herr Cap sich über den politisierten Glauben aus dem Bereich Islam beschwert hat, gerade diesen in Österreich salonfähig gemacht, den will er jetzt aber bekämpfen. Folglich profitiert die Politik also doppelt von den „Türken“: einerseits als Wähler:innenreservoir, andererseits als Sündenböcke für all die gesellschaftlichen Probleme. Aber wir brauchen wahre Staatsleute für unsere Heimat Österreich  von allen Parteien dringender denn  je, besonders aus der SPÖ (yenivatan.at, Birol Kilic, 15.01.2011).

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