Spanien EU-Türkei: „Die Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit sind unsere wichtigsten Werte“

Spanien übernimmt den Ratsvorsitz der EU ab 1.Juli.2023

WIEN. Spanien übernimmt am 1. Juli 2023 für sechs Monate den EU-Ratsvorsitz. Bei einem Pressebriefing für Mitglieder der „Association of European Journalists“ betonte Spaniens Botschafterin in Österreich, Cristina Fraile, am 29. Juni die vier Prioritäten:

-Reindustrialisierung und Offene Strategische Autonomie (OSA)

-Maßnahmen für den „Grünen Wandel“ und Klimaschutz

-Mehr soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit

-Stärkung der europäischen Einheit.

Bei der von Spanien mit den Niederlanden schon 2021 vorgestellten „Offenen Strategischen Autonomie“ geht es darum, dass die EU ihre Partnerländer diversifizieren will, um nicht in Abhängigkeit einzelner Länder zu geraten. Dies sei in der Pandemie etwa bei Pharma-Produkten passiert. „Die EU will nicht zu einer „Festung Europa“ werden, aber engere Kontakte -auch in den Handelsbeziehungen- mit solchen Ländern, die mit der EU gemeinsame Werte und Prinzipien teilen, schließen“, so Fraile. Dazu soll ein informelles EU-Ratstreffen am 5. und 6. Oktober in Granada im Rahmen der Alhambra stattfinden.

Beim Schwerpunkt „Soziales“ sollen Vorschläge für ein „inklusives Europa“, das niemanden ausgrenzt und benachteiligte Gruppen fördert, gemacht werden. So will Spanien einen EU-weiten Ausweis für „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ einführen, damit diese etwa in allen EU-Ländern besondere Vorteile genießen können, etwa auch bei Ermäßigungen für Verkehrsmittel, Theater und Museen.

Unter „Stärkung der europäischen Einheit“ fällt auch die Unterstützung für die Ukraine, Regelungen und Förderungen für die „next Generation EU“.

Spaniens EU-Vorsitz will auch die Staaten des Westbalkan (Albanien, Serbien, Montenegro, Nord-Mazedonien) und den Kosovo“ schneller zum EU-Beitritt heranführen, „um ein politisches Vakuum in der Region zu vermeiden“. Spanien erkennt den Kosovo aber als eigenen Staat noch nicht an und will dies erst dann tun, sobald Serbien diesen Schritt gesetzt hat.

Relevante Daten rund um die Ratspräsidentschaft Spaniens laut Botschafterin Fraile

Prioritär sind für Spanien die Beziehungen zu Lateinamerika. Am 17. und 18. Juli findet dazu ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs aus beiden Kontinenten statt, auf ausdrücklichen Wunsch Madrids in Brüssel, „weil Lateinamerika für alle EU-Länder als Partner immer wichtiger wird.“

Vor allem das seit 22 Jahren verhandelte Assoziationsabkommen mit den fünf Mitgliedsländern des „Mercosur“ (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela) müsse endlich in Kraft treten. „Es geht hier auch um die Glaubwürdigkeit der EU in globalen Verhandlungen“, erklärte Fraile. Österreichs Bundesregierung und der Nationalrat haben sich mehrfach gegen den „Mercosur“-Vertrag ausgesprochen, weil eine Schlechterstellung der österreichischen Landwirte befürchtet wird. Fraile verwies darauf, dass auch beim CETA-Abkommen zwischen EU und Kanada ähnliche Befürchtungen laut wurden, aber dann nicht eintraten.

Ähnlich sei es beim Mercosur-Abkommen. So sei der gefürchtete Anstieg bei Fleischimporten aus Südamerika unbegründet. Auf jeden Österreicher entfalle nur ein von dort importiertes Steak pro Jahr. Auf den Einwand eines Journalisten, dass es auch in der Türkei große Probleme mit Billigimporten von landwirtschaftlichen Produkten aus Lateinamerika gebe, verwies die Diplomatin auf ähnliche Ängste in den Mercosur-Ländern vor Importen aus der EU. „In manchen lateinamerikanischen Ländern machen sich Ängste breit, dass sie der EU zu viel  Zugeständnisse gemacht hätten.“ (Fraile) Insgesamt hätten Handelsabkommen aber für beide Seiten mehr Vor- als Nachteile. Beim Abkommen mit Süd-Korea hätte sich wegen des Anstiegs beim Warenverkehr auch die Transportkosten verringert, mit positiven Auswirkungen auf die Umwelt.

Beim Klimawandel sei Spanien an raschen Maßnahmen interessiert, weil etwa die spanische Landwirtschaft zunehmend von Dürre heimgesucht werde. In Spanien gebe es große Investitionen in erneuerbare Energien, vor allem Sonnen- und Windenergie. So sei eine Pipeline für Gas und Wasserstoff von Barcelona nach Marseille in Frankreich geplant.

Spanien habe bei der Migration viel Erfahrungen gesammelt und sei das einzige Land mit einer direkten Landgrenze zu Afrika in Ceuta und Melilla, zwei spanische Enklaven in Marokko.

Die EU sei mit dem kürzlich von den EU-Innenministern beschlossenen Asylpakt auf dem richtigen Weg. Raschere Entscheidungen über den Asylstatus von Migranten an den EU-Außengrenzen seien wichtig.

Spanien sei auch an einem Beitritt von Rumänien und Bulgarien in die Schengenzone interessiert. Das von Österreich und den Niederlanden eingelegte Veto sollte bis Jahresende aufgehoben werden. Spanien sei hierzu zu Vermittlungen bereit.

Dass in Spanien am 23.  Juli ein neues Parlament und eine neue Regierung gewählt werden, stelle keine Gefahr für die EU dar, auch wenn eine neue Regierung in Spanien die Macht übernehmen sollte. Die Prioritäten des EU-Vorsitzes seien mit allen EU-Mitgliedsländern und der EU-Kommission festgelegt worden.

Die Präsentation der Regierungschefs vor dem europäischen Parlament, die Klärung von Richtlinien, Risiken und Gefahren und insbesondere das Thema der Ukraine werden immer fixer Bestandteil der kommenden Gespräche sein.

Unter dem Titel „kontinuierliche Unterstützung der Ukraine“ ist es das Hauptziel, Fortschritte hin zu einem fairen Frieden zwischen der Ukraine und Russland zu schaffen, sowie wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen des Krieges zu bewältigen. Restaurierung und offene strategische Autonomie, grüner Wandel und Umweltschutz, mehr soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit und insbesondere die Stärkung der europäischen Einheit, sind weitere wichtige Ziele.

Die Besprechungen bezüglich des Schwerpunkts der offenen strategischen Autonomie, sowie wichtiger Themen wie Abhängigkeit von Drittländern und dessen Auswirkungen auf das tägliche Leben der BürgerInnen, Gesundheit, Reindustrialisierung und Digitalisierung werden in informellen Treffen des europäischen Rates in der Alhambra in Granada am 5. und 6. Oktober 2023 stattfinden.

Laut der Botschafterin muss Europa in einem geopolitischen Kontext, der von Ungewissheit gezeichnet ist, ein Gebiet der Gewissheit sein.

Die Verbesserung gemeinschaftlicher Instrumente wie Next Generation EU, Optimierung der Entscheidungsprozesse und insbesondere der Migration und des Asylpakets seien ebenso essenziell.

Beim Gipfeltreffen im Dezember 2023 werden insbesondere Schwerpunktregionen bezüglich südlicher Nachbarschaft, sowie die Migration, Energiepolitik und Umwelt wichtige Themen sein. Denn Spanien betrachtet laut Botschafterin die Stabilität und den Wohlstand abhängig vom Mittelmeerraum und wünscht sich in diesem Bereich eine effizientere Partnerschaft.

Fragen und Antworten bezüglich des EU Kandidat Türkei

Auf die Frage bezüglich des prominenten Journalisten  Merdan Yanardag, welcher vorgestern während der Live-Sendung TELE1 TV in Istanbul verhaftet wurde  sprach Botschafterin Fraile  auch die Beziehungen der EU zur Türkei an, „das nach wie vor Beitrittskandidat“ ist, auch wenn in den auf Eis gelegten Beitrittsverhandlungen keine neuen Kapitel eröffnet werden. Menschenrechte und Demokratie seien auch für einen allfälligen Beitritt der Türkei zur EU Voraussetzung. Bei einem EU-Beitritt sind von allen Kandidaten die „Kopenhagener Kriterien“ in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, wirtschaftliche Daten und Menschenrechte einzuhalten. Die Menschenrechte. Meinungsfreiheit und Pressefreiheit sind auch in der Türkei unsere wichtigsten Werte!„Da kann es für niemanden eine „fast track“-Überholspur geben, so die Diplomatin.

Auf die Zwischenfrage eines Journalisten, dass die Türkei für eine Vollmitgliedschaft in der EU wohl nicht in Betracht kommen könne, antwortete die Botschafterin, dass dies sehr wohl der Fall ist. Die Türkei sei Beitrittskandidat und habe somit Gültigkeit. (Türkische Allgemeine,  29.06.2023)

Link:

Turkey: Prominent journalist arrested on terrorism charges. IPI calls on authorities to immediately release Merdan Yanarda

https://freeturkeyjournalists.ipi.media/turkey-prominent-journalist-arrested-on-terrorism-charges/

https://www.duvarenglish.com/journalist-merdan-yanardag-arrested-over-criticizing-jailed-pkk-leader-ocalans-contact-ban-news-62630

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