Mit dem Schiff von Österreich nach Amerika

Ein neues Buch über den „American Dream“ der Jahrhundertwende - Birol Kılıç im Gespräch mit Autor Gregor Gatscher-Riedl im Namen der Neue Heimat Zeitung.


von Birol Kilic


Während das Österreich von heute ein gebirgiges Binnenland ist, verfügte die alte Monarchie bis 1918 mit dem Hafen Triest über einen Seezugang und eine leistungsfähige Schifffahrt. Während der 1833 gegründete österreichische Lloyd, Ziele vom Osmanischen Reich bis in den Fernen Osten befuhr, sorgten die „Austro-Americana“ ab 1895 für einen regelmäßigen Atlantikdienst nach Nord- und Südamerika. Ein neues Buch von Gregor Gatscher-Riedl stellt dieses vergessene Kapitel der österreichischen Marinegeschichte erstmals vor. Wir haben den Historiker und Autor zum Gespräch eingeladen. Übrigens ich habe auch den großen Ehre gehabt mit Gregor Gatscher-Riedl zwei Bücher als Herausgeber zur Verlegen: IN HOC SIGNO VINCES   Zwischen religiösem Mythos und politischem Anspruch von Byzanz nach Neapel. Die Geschichte des Heiligen Konstantinischen Ritterordens vom Heiligen Georg und „DIE ROTEN RITTER – Zwischen Medici, Habsburgern und Osmanen.

Neue Heimat Zeitung (Yeni Vatan Gazetesi): Herr Dr. Gatscher-Riedl, erstens herzliche Gratulation zu Ihrem neuen Buch „Rot-Weiss-Rot über den Atlantik“, welches ich mit großer Begeisterung jedem weiterempfehlen kann, weil es etwas besonderes ist in der österreichischen Geschichte und die alten Zeiten von Amerika bis in die Türkei widerspiegelt. Welche Bedeutung hatten die Beziehungen zwischen dem österreichischen Kaiserreich und Amerika bis ins 19. Jahrhundert?

Gregor Gatscher-Riedl: Die Vereinigten Staaten haben schon bald nach dem erfolgreichen Unabhängigkeitskrieg begonnen, ihre Fühler nach Wien auszustrecken. Allerdings war der Kaiserhof nicht sehr empfänglich für diese Kontakte, da ja die ehemaligen Kolonien eben die britische Krone abgeschüttelt hatten und daher als Aufrührer galten, mit denen man zunächst nichts zu tun haben wollte. Erst 1829 kam es zum Abschluss eines ersten halbherzigen Handelsabkommens.

Neue Heimat Zeitung: Das heute italienische Triest spielt für das österreichisch-amerikanischen Beziehungen eine besondere Rolle. Woran liegt das?

Gatscher-Riedl: Seit 1802 gab es ein von Thomas Jefferson eingerichtetes Konsulat und eine kleine amerikanische Kolonie in Triest, die vom Großhändler John Allen aus Philadelphia angeführt wurde. Er erhielt 1817 ein Privileg für die Dampfschifffahrt zwischen Triest und Venedig und brachte das erste österreichische Dampfboot „Carolina“ im Linienverkehr zum Einsatz. Somit steht Amerika eigentlich am Beginn der modernen österreichischen Schifffahrt.

Neue Heimat Zeitung: Dennoch spielten die Schiffsverbindungen zwischen Triest und dem Osmanischen Reich lange Zeit die Hauptrolle?

Gatscher-Riedl: Es ist kein Zufall, dass der erste ausländische Hafen, der von österreichischen Liniendampfern angelaufen wurde, Konstantinopel/Istanbul war. Gemeinsam mit den im Schwarzen Meer endenden Strecken der Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft DDSG bestand ein dichtes Verkehrsangebot im Gebiet des Osmanischen Reiches. Später übernahm der Österreichische Lloyd auch die Postbeförderung zwischen Häfen Kleinasiens und unterhielt größere Stützpunkte etwa in Istanbul, Smyrna/Izmir oder Trapezunt/Trabzon. Mit der Eröffnung des Suezkanals im November vor 150 Jahren, an welcher Kaiser Franz Joseph I. persönlich teilnahm, konnte der Lloyd auch Pilgertransporte von und nach Mekka anbieten.

Neue Heimat Zeitung: Ein Blick auf die Landkarte bestätigt, dass die österreichische Schifffahrt im Mittelmeer, der Levante und dem Schwarzen Meer von der räumlichen Nähe der Adria her eine gute Position hatte. Was führte für Österreich letztlich dazu, den Atlantik zu überqueren?

Gatscher-Riedl: Aus geographischer Sicht stimmt das natürlich, dass von Triest aus oder über die Donau der Mittel- und Schwarzmeerraum leicht zu erreichen ist. Der Atlantik liegt hier abseits und die Fahrt von Mittelmeerhäfen war durch die Gibraltar-Passage deutlich länger als von Hamburg, Bremen oder England. Dennoch forderte die österreichische Textilindustrie vehement die Einrichtung einer eigenen Frachtlinie, um die am Weltmarkt billige Baumwolle selbst aus den US-Südstaaten importieren und in den eigenen Fabriken verarbeiten zu können.

Neue Heimat Zeitung: Wie gingen die Baumwollindustriellen da vor? Gründeten sie auf eigene Faust ein Schifffahrtsunternehmen?

Gatscher-Riedl: Das Transportwesen war Ende des 19. Jhds. bereits ein sehr komplexes Geschäft und wandte sich an Gottfried Schenker, den bedeutendsten Spediteur der Monarchie. Gemeinsam mit einem englischen Partner gelang es ihm mit seinen exzellenten Kontakten, binnen kurzer Zeit eine Fracht- und Logistikkette aufzubauen. Herzstück war dabei die 1894 extra gegründete Reederei „Austro-Americana“ mit Sitz in Triest.

Neue Heimat Zeitung: Dieses Unternehmen expandierte laut ihrem Buch rasch und galt als dynamischster Betrieb der österreichischen Schifffahrt. Lag das nur an der Frachtbeförderung?

Gatscher-Riedl: Da die bekannte englische „Cunard-Line“ in den österreichischen Markt drängte und das Auswanderergeschäft von der Adria aus an sich ziehen wollte, war Eile gefragt, wenn man von Seiten der Monarchie nicht tatenlos zusehen wollte. Austro-Americana war als einziges Unternehmen bereit, diese Herausforderung anzunehmen und bot ab 1904 auf hastig umgebauten Frachtern eine Linie Triest-New York an. Die Auswanderungsbewegung bescherte der „Austro-Americana“ ein ungeahntes Wachstum: Nachdem im ersten Jahr 4.224 Fahrgäste befördert wurden, schifften sich 1913 bereits mehr als zehnmal so viele Menschen bei der Gesellschaft ein, was einem Anteil am Triestiner Auswandererverkehr von mehr als 60 Prozent entsprach.

Neue Heimat Zeitung: Wie lange dauerte eine Überfahrt von Triest nach Amerika? Fuhren die Schiffe wie die beiden Ozeanriesen KAISER FRANZ JOSEPH I. oder MARTHA WASHINGTON direkt?

Gatscher-Riedl: Von Triest nach New York war man zwischen 14 und 18 Tagen unterwegs. Die Dampfer legten unter anderem in Patras an, wo auch Auswanderer aus dem Osmanischen Reich an Bord genommen wurden. Der Luxus der großen Schiffe darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Schicksal der Auswanderer im Zwischendeck, der billigsten Beförderungsart, alles andere als komfortabel war. Vor allem wurden viele Immigranten seekrank, da die meisten noch niemals ein Schiff betreten hatten.

Neue Heimat Zeitung: Wie viel kostete damals eine Überfahrt nach Amerika?

Gatscher-Riedl: Die Fahrpreise für Auswanderer betrugen zunächst 175 Kronen (etwa 1.000 Euro), sanken durch den Preiskampf aber später auf 100 Kronen. Damit unterscheiden sie sich eigentlich recht wenig von den heutigen Kosten für ein regulär gekauftes Flugticket. Die Überfahrt in den Luxuskabinen war natürlich entsprechend teurer und kostete bis zu 10.000 Euro, wobei diese meist auf der Rückfahrt von Amerikanern gebucht wurden.

Neue Heimat Zeitung: Was ist mit Austro-Americana im Ersten Weltkrieg passiert?

Gatscher-Riedl: Der Ausbruch des Krieges traf die Gesellschaft auf dem Höhepunkt ihrer Tätigkeit und vollkommen unvorbereitet. Schiffe wurden in US-Häfen festgesetzt und mit Kriegseintritt der USA beschlagnahmt. Dabei kam es zu der skurrilen Situation, dass der Dampfer MARTHA WASHINGTON als Schiff der US Navy und Truppentransporter verwendet wurde. Nach dem Krieg ging die Gesellschaft in italienische Hände über. Zwischen Herbst 1903 und Mitte 1914 verließen 220.312 Passagiere Triest in Richtung Amerika. Mehr als 183.000 Fahrgäste schifften sich auf einem Dampfer der Austro-Americana ein, was einem Marktanteil von 83 Prozent entspricht. Auch im ursprünglichen Geschäftszweig zeigte die Gesellschaft Flagge, die mit 31 Schiffen 95 Prozent des Warenverkehrs Österreich-Ungarns mit Süd- und Mittelamerika abdeckte.

Buch: Gregor Gatscher-Riedl, Rot-Weiß-Rot über den Atlantik. Die Geschichte der Austro-Americana. 252 Seiten, mit mehr als 300 farbigen Abbildungen, Gebunden mit Schutzumschlag, Deutsch, Verlag: Kral Berndorf, 2019 ISBN-10: 3990248243 VKP: 29,90

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