Ein Österreichischer Manager in der Türkei und seine Erfahrungen: „Gekommen als Fremder-gegangen als Freund“

Es ist der Beginn einer wunderschönen Geschichte, als Wolfgang Hösl zu unserem Interview Platz nimmt. Eine Geschichte voller Erwartungen, Hoffnungen, Freuden und einem schweren Abschied. Aus dem Fernweh wurde letztendlich Heimweh.

Neue Heimat Zeitung: Was ist der Grund dafür, dass Sie damals in die Türkei gegangen sind?

Hösl: Ich habe in verschiedenen Firmen gearbeitet und war in Bereichen wie Markteintritt, Betriebsaufbau und Partnersuche tätig. Bevor ich 2007 in die Türkei ausgewandert bin, war ich selbstständig und habe seit 1989 nicht mehr in Österreich gelebt. Hauptsächlich war ich in Krakau, in Polen, tätig, aber auch in Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Russland. Allerdings war es dort sehr schwer eine Arbeitsgenehmigung zu bekommen. Aufgrund dieser langjährigen Auslandserfahrung war es für mich selbstverständlich aufgrund des Jobangebots in der Türkei meine Firma zu verkaufen und gemeinsam mit meiner Familie nach Istanbul zu gehen.

Neue Heimat Zeitung: Wie lang hat es gebraucht sich in der Türkei einzuleben? Wurde es so etwas wie ihre neue Heimat?

Hösl: Da ich die Türkei bereits aus zahl-reichen Urlaubreisen kannte, war es schon immer ein großer Wunsch von mir in diesem Land zu leben und zu arbeiten. An Österreich haben mich immer besonders der kalte Winter und der Schnee gestört, ich wollte immer in den Süden. Als ich nun erneut Österreich den Rücken kehrte und in der Türkei ankam, wurden meine Erwartungen und meine Wünsche, die ich mir von Istanbul erhofft hatte, mehr als nur übertroffen. Da ich im Vorfeld bereits einen türkischen Sprachkurs absolviert und mir zahlreiche Information über die Türkei besorgt hatte, war ich gut vorbereitet und konnte mich zunächst mit einzelnen Sätzen, Händen und Füßen aber auch mit der englischen Sprache gut verständigen.

Neue Heimat Zeitung: Was waren Ihre  ersten Eindrücke und ihre Gedanken bei der Ankunft in der Türkei?

Hösl: Eine Situation ist mir besonders gut im Gedächtnis geblieben: Als meine Familie und ich damals unser Haus, dass ich im Vorfeld angemietet hatte bezogen, standen plötzlich für uns wildfremde Menschen vor der Tür. Sie hatten Obst und andere türkische Köstlichkeiten dabei und wollten uns Willkommen heißen. Die Gastfreundschaft in der Türkei ist mit der in Österreich nicht zu vergleichen. In der Türkei gehört es zur Tradition neue Nachbarn herzlich zu begrüßen und sie mit kleinen Gaben in ihren Bekanntenkreis aufzunehmen. In einer Wohnungsanlage in Wien würde einem das in dieser Form nie passieren. Manche bekommen ihre Nachbarn selbst nach Jahren nie zu sehen und wenn, dann reicht es gerade mal für ein flüchtiges „Grüß Gott“ im Stiegenhaus. In der Türkei kommst du als Fremder und gehst als Freund.

Neue Heimat Zeitung: Sind sie damals gemeinsam mit ihrer Familie in die Türkei gegangen?

Hösl: Ich bin zunächst allein in die Türkei geflogen, um dort alles für mich und meine Familie vorzubereiten. Ich habe uns dort ein Haus gesucht und eine Assistentin, die mir bei den kleinen Sprachbarrieren helfen sollte. Die meiste Zeit konnte ich mich aber mit Englisch und Deutsch gut verständigen. Als meine Frau und meine Tochter, die damals 18 Monate alt war, nach 3 Monaten endlich ankamen und mein Büro fertig war, fühlte ich mich schon sehr heimisch. Zuhause ist ja schließlich dort wo die Familie ist.

Neue Heimat Zeitung: Wie hat es Ihrer Frau und Ihren Kindern gefallen? Haben auch sie sich gut einleben können?

Hösl: Meine kleine Tochter ist dort damals gleich in den Kindergarten gekommen und hatte überhaupt keine Probleme sich mit den einheimischen Kindern in ihrem Alter anzufreunden. Kinder sind da sehr unkompliziert. Abgesehen davon, ist die Türkei ein Paradies für Kinder. An jeder Ecke ist ein großer Spielplatz, vor allem die Promenade am Bosporus ist ein Traum. Die Türken haben eine ganz andere Art mit Kindern umzugehen als die Europäer. Mit einem Kind ist man automatisch „willkommener“. Meine Tochter ist blond und hat blaue Augen und da das türkische Wahrzeichen, das blaue Auge Boncuk- eine große Bedeutung hat, war es dort völlig normal, dass die Menschen auf der Straße meine Tochter begeistert begrüßten, sie auf den Arm nahmen und ihr offenherzig zeigten, dass sie willkommen ist. In Österreich würde man nur böse Blicke ernten, wenn man das Kind eines Fremden auf der Straße auf den Arm nimmt, oder?  Auch in zahlreichen Restaurants gibt es Spielecken für Kinder, zusätzlich gehört es dort zur guten Sitte, dass Kind einer anderen Familie mitessen zu lassen, wenn es sich mit dem eigenen Kind an den Tisch setzt. Als auch ich mir, als Nicht-Türke diese Vorgehensweise aneignete und zur Gewohnheit machte, waren die Einheimischen ganz beeindruckt und fanden es toll, dass sich ein Ausländer mit den türkischen Sitten auskennt und identifiziert. Ich finde diese Idee wunderschön. Meine Frau konnte damals besser Türkisch sprechen als ich, da sie vor Ort einen intensiven Sprachkurs besuchte.

Neue Heimat Zeitung: Haben Sie viele kulturelle Unterschiede zu Österreich erkennen können, wenn ja: welche sind Ihrer Meinung nach am Bedeutsamsten?

Hösl: Zunächst einmal ist in der Türkei vieles einfacher. Das ganze Leben gestaltet sich dort viel freier, angenehmer und unkomplizierter als in Österreich oder in anderen Ländern dieser Welt. Die Lebensqualität in Österreich wird stets als äußerst hoch und einzigartig beschrieben, nur habe ich das Gefühl, dass sie an ganz anderen Dingen gemessen wird, als in der Türkei. Ich hatte das Glück dort erfahren zu dürfen, wie unkompliziert dort zum Beispiel die Handwerker sind und wie flexibel sich alles was mit Terminen zu tun hat, gestalten lässt. In Österreich muss man ja schon Monate und Wochen davor alles fixieren, damit ein Termin auch wirklich eingehalten wird. Außerdem haben in der Türkei alle Supermärkte und Banken bis spät abends geöffnet. Es gibt nichts herrlicheres, als nach der Arbeit noch genügend Zeit zu finden Lebensmittel und andere Dinge einkaufen zu können. Das Leben dort unten ist meiner Meinung nach einfach einfacher. (lacht)

Neue Heimat Zeitung: Welches Bild denken Sie, haben die Türken von der von zugewanderten Österreichern in der Türkei?

Hösl: Ich würde sagen das Erste was sie wahrnehmen ist die Sprache und sobald Deutsch gesprochen wird, werden als Deutsche abgestempelt, dies hat aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands und den großen Problemen in den noch viel größeren türkischen Communities in Deutschland oft einen negativen Beigeschmack. Wenn man allerdings sagt, dass man aus Österreich kommt, ist das gleich viel positiver.

Neue Heimat Zeitung: Und wie ist das Bild der Türken in Österreich und der westeuropäischen Welt?

Hösl: Ich denke das Bild, das die Österreicher von den Türken die hier leben haben, ist ein komplett falsches. Denn in Istanbul sind die Einheimischen ganz anders als hier. Ich denke das liegt großteils an den Zuwanderern, die hier zum Teil auch schon in zweiter oder dritter Generation leben. Denn ihnen wird oft der Vorwurf gemacht sich nicht anzupassen und die Sprache nicht wirklich erlernen zu wollen. Sie bleiben oft untereinander in ihren Communities, dies sieht man ja vor allem in Wien in Bezirken wie dem 10. oder dem 16..Natürlich gibt es da auch zahlreiche Ausnahmen.

Neue Heimat Zeitung: Gibt es eine österreichische Community in der Türkei?

Hösl: Nein, nicht wirklich und wenn ja, dann nicht besonders große Communities. Es gibt zum Beispiel englische und amerikanische Wirtschaftsclubs, jedoch ist Istanbul so groß, dass es nicht wirklich einen geballten Ort dafür gibt, so wie vielleicht in Wien. Außerdem steht in der Türkei stets die Arbeit im Vordergrund. Dort arbeitet man 45 Stunden in der Woche und die meiste Zeit wird dann nur übers Geschäft geredet.

Neue Heimat Zeitung: Wenn sie die Türkei mit Österreich vergleichen, was fällt Ihnen zum jeweiligen Land positiv und negativ ein?

Hösl: Ich habe ein Motto, das ihre Frage denke ich mehr als treffend beantworten kann: „In der Türkei ist alles schwer, aber alles möglich. In Österreich ist alles möglich, aber alles schwierig.“

Neue Heimat Zeitung: Was hat Sie in der Türkei am meisten beeindruckt?

Hösl: Ich habe in meiner Zeit in der Türkei auf der asiatischen Seite Istanbuls gelebt, also nicht auf der europäischen „Touristenseite“. Die beeindruckenden Sehenswürdigkeiten, wie die Hagia Sofia oder die blaue Moschee, habe ich erst kurz vor meiner Abreise nach Österreich bewundern können.

Neue Heimat Zeitung: Hatten Sie das eine oder andere Mal während Ihrer Zeit in der Türkei auch einmal Heimweh nach Österreich?

Hösl: Nein, kein einziges Mal. (lacht) Durch meine langjährige Abwesenheit habe ich in Österreich eigentlich kaum Freunde. All meine liebgewonnenen und guten Freunde sind in der Türkei oder in Polen, wo ich in den letzten 20 Jahren eigentlich die meiste Zeit meines Lebens verbracht habe.

Neue Heimat Zeitung: Welche Situation oder welches Erlebnis ist Ihnen aus dieser Zeit am meisten im Gedächtnis geblieben?

Hösl: (lacht) Eine witzige Anekdote ist mir bis heute im Kopf geblieben. Und zwar waren wir eines Abends in einem Restaurant Fisch essen. Die Karte konnte ich leider nicht lesen und plötzlich stand der Kellner mit einer riesigen Fischplatte vor mir. Da ich auch von ihm kein einziges Wort verstand und er nicht Englisch sprach, war ich gezwungen meine Assistentin als Dolmetscherin anzurufen. Als sie den Hörer abnahm sagte ich verzweifelt zu ihr: „Hier steht ein Mann mit lauter toten Fischen vor mir und ich weiß nicht was er von mir will.“ (lacht wieder) Diese Szene werde ich wohl nie vergessen.

Neue Heimat Zeitung: Warum sind Sie damals wieder nach Österreich gekommen? Haben Sie diese Entscheidung jemals bereut?

Hösl: Leider war ich durch die Wirtschaftskrise gezwungen Ende August dieses Jahres, die Türkei zu verlassen und wieder nach Österreich zurückzukehren. Es war kein leichter Abschied für mich. Hier in Österreich kann ich mich jedoch nicht mehr so richtig einleben. Ich bin die österreichische Umgangsweise und den Alltag nicht mehr gewohnt, weil ich doch so lange Zeit im Ausland gelebt habe. Das beginnt schon bei ganz normalen Dingen, wie morgens für einen Termin wie hier bei Ihnen, in der Stadt einen Parkplatz zu suchen. In Wien grenzt dies schon fast an eine Unmöglichkeit und in der Türkei gehörte es zur Serviceleistung, dass du überall wo du hingehst einen Parkplatz vor der Tür hast.

Neue Heimat Zeitung: Vermissen Sie das Leben in der Türkei, jetzt wo Sie wieder in Österreich sind und würden Sie wieder zurückgehen, wenn sich für Sie die Möglichkeit bieten würde?

Hösl: Ja, ich habe sehr großes Heimweh nach der Türkei. Ich habe dort meine „neue Heimat“ gefunden. Ich kann mir keinen bessern Ost auf der Welt vorstellen, um dort mein restliches Leben zu verbringen. Ich würde alles dafür geben, wieder einen Auftraggeber in der Türkei zu finden, da ich zurzeit auf der Suche nach einem Job bin. Es wäre mein größter Wunsch sobald wie möglich wieder in die Türkei zurückgehen zu können. (seufzt)

Neue Heimat Zeitung: Wie gut sprechen Sie heute noch Türkisch?

Hösl: Heute habe ich leider vieles wieder vergessen, aber die wichtigsten Wörter, Sätze und Zahlen weiß ich noch. (zählt lachend auf türkisch von eins bis zehn) Ich würde sagen, für Small- Talk reicht es allemal. (lacht)

Neue Heimat Zeitung: Welche Tipps würden Sie anderen Menschen geben, die vorhaben in die Türkei auszuwandern?

Hösl: Also ich würde ihnen auf jedenfall empfehlen, sich vor ihrer Abreise gut über das Land zu informieren, da die Türkei eine eigene Kultur, Religion und Gesetze hat. Wenn man uninformiert einwandert, denke ich, bleiben einem ein paar Fauxpas nicht erspart. Der Kulturschock ist zwar sicherlich nicht so groß wie zum Beispiel in Japan und wenn man sich ordentlich für das eine oder andere Missgeschick entschuldigt, wird es einem dort auch sicherlich verziehen. Wo man sich als Mann keinen Fehler erlauben sollte, ist bei der Wahl des richtigen Fussballclubs, diesen Fehler habe ich einmal gemacht, das hätte auch ins Auge gehen können, aber das ist eine andere Geschichte. (lacht)

Neue Heimat Zeitung: Haben sie eine türkische Lieblingsspeise, die sie hier in Österreich besonders vermissen?

Hösl: In der Türkei isst man ja kein Schweinefleisch und viel mehr Fisch, damit hatte ich überhaupt keine Probleme, denn ich liebe Fisch. Meine Lieblingsspeise wurde mit der Zeit das berühmte Iskender Kebap. Das ist eine bekannte Variante des Döner Kebap, bei der das Grillfleisch mit Tomatensauce, klein geschnittenem Fladen Brot, Joghurt und zerlassener Butter serviert wird. Und natürlich das süße Baklava, aber wer kann dem schon widerstehen, schließlich ist es der Vorgänger unseres heutigen Apfelstrudels.

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