STAAT UND RECHT: Bürde des Doppelpasses

Mehrfache Staatsangehörigkeit als Damoklesschwert: Jedes Land kann Doppelstaatler auf seinem Gebiet als nur eigene Landsleute behandeln. Von Stefan Talmon

Da zwei oder mehr Staatsangehörigkeiten zu rechtlichen und politischen Schwierigkeiten führen können, verpflichteten sich mehrere Staaten im Jahr 1963 vertraglich zur Verringerung der Mehrstaatigkeit. Volljährige Staatsangehörige, die freiwillig eine andere Staatsangehörigkeit erwarben, sollten ihre vorherige Staatsangehörigkeit verlieren. Vor allem aus integrationspolitischen Gründen wurde das Verbot der Mehrstaatigkeit in den Folgejahren in vielen westeuropäischen Staaten immer weiter ausgehöhlt. Im Dezember 2001 kündigte Deutschland das Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit – eines der wenigen multilateralen Verträge, welche die Bundesrepublik in ihrer Geschichte jemals gekündigt hat. Heute leben in Deutschland mehr als 4,3 Millionen Personen, die neben ihrer deutschen mindestens eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen. Für diese Menschen, aber auch für den deutschen Staat ist die doppelte Staatsangehörigkeit mit nicht unerheblichen Nachteilen verbunden.

 

In jüngster Zeit haben vor allem zwei Ereignisse diese Nachteile ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Die von dem amerikanischen Präsidenten Trump am 27. Januar 2017 unterzeichnete Verfügung zum „Schutz der Nation gegen die Einreise von Terroristen“, die Staatsangehörige der mehrheitlich islamischen Länder Iran, des Iraks, Sudan, Syrien, Somalia, Libyen und des Jemens mit einem generellen Einreiseverbot belegte, betraf zunächst auch mehr als 130000 deutsche Staatsangehörige, die neben der deutschen die Staatsangehörigkeit eines dieser Länder besitzen.

 

Das generelle Einreiseverbot für Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit wurde zwar auf politische Intervention hin nach nur wenigen Tagen wieder zurückgenommen. Zwingend war dies jedoch nicht. Völkerrechtlich steht es der amerikanischen Regierung frei, ob sie Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit zum Beispiel als Deutsche oder Iraner behandelt. Insbesondere gibt es keine völkerrechtliche Regel, die es der Regierung vorschreibt, ihren Entscheidungen oder der Anwendung ihres Recht ausschließlich die Staatsangehörigkeit des Staates zugrunde zu legen, in dessen Gebiet ein Doppelstaater seinen gewöhnlichen oder hauptsächlichen Aufenthalt hat oder mit dem dieser den Umständen nach tatsächlich am meisten verbunden ist. Die entsprechende Bestimmung des Übereinkommens über gewisse Fragen beim Konflikt von Staatsangehörigkeitsgesetzen von 1930 ist für die Vereinigten Staaten als Nichtvertragspartei nicht bindend und hat sich auch völkergewohnheitsrechtlich nicht durchgesetzt. So stellen viele Staaten heute bei der Anwendung ihres Rechts auf Doppelstaater nicht auf die effektive Staatsangehörigkeit, sondern darauf ab, mit welchem Pass eine Person eingereist ist oder unter welcher Staatsangehörigkeit sie ihren Visumantrag gestellt hat.

 

Dass es den Staaten freisteht, welche Staatsangehörigkeit sie als maßgeblich ansehen, zeigt sich vor allem in Ausnahmesituationen. So rechtfertigte das Deutsche Reich 1916 die Behandlung eines Amerikaners, der auch die britische Staatsbürgerschaft besaß, als Feindstaatsangehöriger mit „dem allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts, wonach ein Feindstaatsangehöriger, der zugleich auch die Staatsangehörigkeit eines neutralen Staats besitzt, als Feindstaatsangehöriger behandelt werden darf und keine Rücksicht auf seine neutrale Staatsangehörigkeit genommen werden muss“. Die Vereinigten Staaten verfuhren während des Zweiten Weltkriegs ebenso und internierten auch Japaner mit neutraler Staatsangehörigkeit. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 führte die Regierung das „Nationale Sicherheit Einreise-Ausreise Registrierungssystem“ ein, das Angehörige von 25 zumeist islamischen und arabischen Staaten, die sich in den Vereinigten Staaten aufhielten, einer verschärften Meldepflicht unterwarf. Dieses System, das erst in den letzten Tagen der Obama-Präsidentschaft aufgehoben wurde, galt ausdrücklich für „alle Ausländer, die Bürger oder Staatsangehörige eines der aufgelisteten Länder sind, ungeachtet einer doppelten Staatsangehörigkeit“. Auch Deutsche waren betroffen. Vor diesem Hintergrund dürften Reisen von Deutschen mit doppelter Staatsangehörigkeit nach Amerika auf nicht absehbare Zeit unter dem Damoklesschwert der doppelten Staatsangehörigkeit stehen.

 

Das zweite Ereignis, das die Nachteile der doppelten Staatsangehörigkeit jüngst zutage treten ließ, ist der Fall des Journalisten Deniz Yücel. Der Journalist, der neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzt, wurde am 14. Februar 2017 in Istanbul wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Polizeigewahrsam genommen. Später wies Bundeskanzlerin Merkel in einem Gespräch mit dem türkischen Ministerpräsidenten darauf hin, „wie wichtig es sei, dass Herr Yücel durch die deutsche Botschaft umfassend konsularisch betreut werden kann“. Schon diese Formulierung zeigt, dass es sich hier lediglich um einen politischen Wunsch handelte, denn ein völkerrechtlicher Rechtsanspruch auf Ausübung des konsularischen Schutzes besteht im Fall Yücel nicht.

 

Nach Artikel 36 Abs. 1(b) des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen von 1963 sind die Konsuln eines Staates zwar grundsätzlich berechtigt, ihre Staatsangehörigen während der Haft aufzusuchen, mit ihnen zu sprechen und zu korrespondieren, sich für angemessene Haftbedingungen einzusetzen sowie für ihre Vertretung in rechtlicher Hinsicht zu sorgen. Dies gilt jedoch nicht für Doppelstaater. In Fällen von doppelter Staatsangehörigkeit hat jeder der beiden Heimatstaaten völkerrechtlich das Recht, diese Personen auf seinem Staatsgebiet ausschließlich als seine eigenen Staatsangehörigen zu behandeln. Da die Türkei Deutsch-Türken nur als Türken und nicht als Deutsche sieht, kann sie sich gegen jegliche Form konsularischer Einmischung durch Deutschland verwahren. Auch nach einer Haftentlassung nutzt Yücel der deutsche Pass in der Türkei wenig. Ausreisen kann er als Türke nur mit einem gültigen türkischen Reisepass. Ist dieser abgelaufen oder wird dieser von den Behörden eingezogen, sitzt er trotz deutscher Staatsangehörigkeit in der Türkei fest.

 

Auch dem diplomatischen Schutz Yücels durch Deutschland sind im vorliegenden Fall enge Grenzen gesetzt. Grundsätzlich kann ein Staat durch diplomatische Mittel oder Klage vor einem internationalen Gericht die Verantwortlichkeit eines anderen Staates für völkerrechtswidrige Handlungen gegenüber seinen Staatsangehörigen geltend machen. Ursprünglich war der diplomatische Schutz gegenüber einem anderen Staat, dem eine Person ebenfalls angehört, gänzlich ausgeschlossen. Noch im Jahr 2003 argumentierten die Vereinigten Staaten im Fall von amerikanisch-mexikanischen Doppelstaatern vor dem Internationalen Gerichtshof, dass Mexiko diesen keinen diplomatischen Schutz gegenüber den Vereinigten Staaten gewähren könne. Die UN-Völkerrechtskommission stellte jedoch zwei Jahre später in einem nicht bindenden Entwurf fest, dass bei Doppelstaatern diplomatischer Schutz gegen den anderen Heimatstaat ausnahmsweise dann zulässig sein soll, wenn die Staatsangehörigkeit des einen Staates die Staatsangehörigkeit des anderen Staates zum Zeitpunkt des Völkerrechtsverstoßes „überwiegt“.

 

Diese Ausnahme ist jedoch eng auszulegen. Deutschland trüge hier die Beweislast für das Überwiegen seiner Staatsangehörigkeit. Im Hinblick darauf, dass Deniz Yücel seit Mai 2015 in Istanbul gelebt und gearbeitet hat, wäre dies schwierig; insbesondere, da er mangels offizieller Akkreditierung dort formal nicht als ausländischer Journalist tätig war. Vor diesem Hintergrund müssen sich Deutsch-Türken, die im derzeitigen politischen Klima in die Türkei reisen, im Klaren darüber sein, dass sie in der Türkei keine Deutschen sind und gegen hoheitliche Maßnahmen ihres anderen Heimatlandes nur sehr begrenzt geschützt werden können.

 

Professor Dr. Stefan Talmon ist Inhaber des

 

Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Völkerrecht und

 

https://www.jura.uni-bonn.de/institut-fuer-voelkerrecht/direktorendirectors/prof-dr-stefan-talmon/

 

 

Europarecht an der Rheinischen Friedrich-

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