Einspruch: Warum sollte die Türkei aus der EU-Zollunion raus?

von Birol Kilic   aus dem Jahr 2011

Die Zollunion der EU mit der Türkei gleicht einer sittenwidrigen Beziehung, die sich nicht auf gleicher Augenhöhe abspielt, sondern den Charakter der Versklavung beziehungsweise der Unterwerfung hat. Die Türkei hat in Brüssel  nicht einmal einen Beobachter bzw. Teekocher für seiner eigene Zölle die von der EU Vollmitgliedstaaten entschieden wird.

„Servus, Europäische Union!“

Es ist die Zeit gekommen, sich gegen eine innenpolitische wie außenpolitische Ausbeutung (besonders in Österreich) zu wehren.

Dieses Thema schadet Österreich mehr als der Türkei.

Dies ist ein sehr trauriger Zustand, der tiefe psychologische und geschichtliche Schatten in die Zukunft werfen wird. Er wurde seit Jahren deswegen hervorgerufen, weil die Türkei seit 1.1.1996 eine unwürdige, nicht gleichberechtigte Beziehung mit der EU aufgenommen hat, wo die türkische Vollmitgliedschaft für die EU eigentlich aufgrund des bestehenden Zollunionsvertrags nicht mehr interessant ist.

Kurz gesagt, man hat das Beste aus der Türkei schon bekommen.

Warum sollte man in der EU, in Brüssel, eine politische Macht für die Türken schaffen?

Die EU hat viel bessere Karten als die Türkei und deswegen kann man die Türkei noch immer an der Nase herumführen.

Aber erst müssen wir uns einmal einen Überblick verschaffen!

„Selam, hallo Europa!“, „Grüß Gott Europa!“, „Guten Morgen, Europa!“, jubelten die Schlagzeilen der türkischen Presse am Morgen des 1. Jänner 1996.

Die Euphorie am Tage nach dem In kraft treten des Vertrags der Zollunion mit der EU erfasste damals mich und meine  Freunde.

Wir mussten  leider bald erkennen, dass die Zollunion der EU mit der Türkei kein ausgewogener Wirtschaftsvertrag war, sondern ein einseitiger, undemokratischer und rechtswidriger Unionsvertrag. Denn die Türkei hat viele Verpflichtungen auf sich genommen, ist aber in den politischen Entscheidungsgremien weder vertreten noch irgendwie in diese eingebunden.

Türkei hat nicht einmal einen Beobachter in Brüssel

Die Türkei hat mit der Zollunion seit 1996 bis heute 2011 einen Großteil ihrer nationalen Souveränität nach Brüssel abgetreten, ohne in der EU-Zentrale in Brüssel gleichzeitig irgendeinen Einfluss auf den multinationalen Entscheidungsprozess zu haben. Die Türkei hat in Brüssel  nicht einmal einen Beobachter für seiner eigene Zölle die von der EU Vollmitgliedstaaten entschieden wird.

Am 1.1.1996 ist die Türkei das inoffizielle „Mitglied zweiter Klasse“ Europas geworden,  das nie Vollmitglied sein wird.

Warum sollen die Vollmitglieder der EU (jetzt 28) so ein „abhängiges Land wie die Türkei wo Sie das beste Stück Zollunion genommen haben“  in Zukunft als Vollmitglied akzeptieren?

Mit der Zollunion hat die EU die Türkei ohnedies bereits an der Fußfessel.

Als Ankara das Assoziationsabkommen mit der EWG vor Jahrzehnten ratifiziert hatte und bis die Zollunion in drei Anpassungsphasen bis Ende 1995 auf den Weg gebracht worden war, stand die Türkei mit 6 EU-Mitgliedern (damals EWG-Mitglieder) in einer soliden Wirtschaftsgemeinschaft.

Heute ist die EU nicht nur eine riesige  Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch eine politische Wertegemeinschaft, die längst ohne In- und Exportaufschläge miteinander handeln und politisch vollkommen gleichberechtigt sind.

Die über lange Zeit geltende angebliche Exklusivität der Zollgemeinschaft hat mit der gestiegenen Mitgliederzahl der EU ihre Bedeutung verloren – vielmehr noch ist sie für die Türkei ein Klotz am Bein.

Die Türkei ist unter allen Kandidaten bis heute das einzige Land seit der Gründung der EU (vormals EWG bzw. EG), welches vor der Vollmitgliedschaft in die EU-Zollunion gekommen ist.

Hürriyet: „Türkei wird 1998 Vollmitglied der EU! Hallo Europa!“

Die damalige Premierministerin von der DYP rechtskonservativen Partei, Frau Tansu Ciller hat damals mit folgenden Worten die gesamte türkische Bevölkerung fahrlässig belogen: „Wenn die Türkei am 1.1.1996 mit der EU ein Zollunionabkommen unterschreibt, dann wird sie ab 1.1.1998 Vollmitglied der EU sein.“

Diese Aussage titelte glaubwürdig und überzeugend sogar die Zeitung „Hürriyet“ mit einem schönen Foto von Frau Ciller und folgender Überschrift: „Türkei wird 1998 Vollmitglied der EU! Hallo Europa!“ Ja, auf dieses Ziel hin hat man in der Türkei ab 1995 in allen Bereichen mit NGO’s, Wirtschaft und Zeitungen Lobby betrieben.

Damals hat der jetzige Präsident der türkischen Republik, Abdullah Gül, als Abgeordneter der Refah Partei (Milli Görüs) im türkischen Parlament den Vergleich gebracht, dass die Türkei „nur hinter einer schönen EU-Villa ihren Platz in der Hundehütte, haben könnte!“, welcher sich leider gerade im Jahre 2011 als richtig herauskristallisiert hat. Dies kann man leicht im Internet nach recherchieren (Stichworte: Türkei, EU, Hundehütte (*)).

Heute schreiben wir das Jahr 2011 und die Türkei ist noch immer nicht Vollmitglied, man diskutiert in Österreich sogar über die Zugehörigkeit der Türkei zu Europa! Die feindliche Stimmung gegenüber der Türkei und Türken ist so sehr gestiegen, dass man am liebsten die Türkei mit einem Radiergummi von der Landkarte ausradieren würde.

Auf der anderen Seite diskutiert man gleichzeitig über eine privilegierte Partnerschaft, die man eigentlich nur als „Verarschung bis zum Geht-nicht-mehr“ bezeichnen kann.

Wer fühlte sich da nicht gepflanzt?

Ist die Türkei nicht schon seit 1960 (!) assoziiertes Mitglied der EU?

Nun soll sie erst seit 1996 privilegiert sein? Auf dieses Privileg würde sie gerne verzichten!

Warum sollte die EU jetzt noch schwarzgelockten, „muslimischen türkischen Barbaren“(!) in Brüssel und Straßburg einen Platz dazustellen?

Zollunion wurde in türkischen Parlament nicht ratifiziert

Das türkische Parlament (TBMM) hat die Zollunion unter der damaligen Premierministerin Ciller und ihrem Koalitionspartner aus der Sozialistischen Partei, Herrn  Karayalcin, nicht ratifiziert, aber das  Europäische Parlament hatte eine geradezu lüsterne Geilheit an dem Zollvertrag gezeigt und den Vertrag nicht nur ratifiziert, sondern sogar mit Champagner begossen und das Lied „So billig kriegen wir die Türkei nicht mehr“ geträllert. Wenn sich die Türkei über den Tisch ziehen lässt, fliegen in Brüssel die Sektkorken!

Zum ersten mal in der Geschichte der EU-Türkei: Zollunion vor der Vollmitgliedschaft

Eigentlich konnte diese Feier nur deswegen stattfinden, weil die EU das erste Mal in der EU-Geschichte ein Nicht-EU-Mitglied in die Zollunion aufgenommen hat, was eigentlich nur  Vollmitgliedern vorbehalten ist.

Zum Beispiel durften aufgrund ihrer nationalen Interessen Spanien, Portugal und Griechenland erst nach Jahren ihrer Vollmitgliedschaft die Zollunion sukzessive verwirklichen.

Aber bei der Türkei sollte es nicht nur umgekehrt sein, sie verhielt sich zudem dramatisch falsch. Ja, in gewisser Weise wurde die Türkei sogar Opfer ihres eigenen, verhandlungsstrategisch klugen Stufenplans.

Man wollte auf gut Wienerisch „von der Maschekseite“ in die EU kommen. Dass auf halber Strecke der Pilot aussteigt und beide Fallschirme mitnimmt, war nicht eingeplant.

Auch die letzten 14 Mitglieder aus Osteuropa wie u.a. Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Slowenien, Tschechien und die Slowakei haben nie über „erst Zollunion, dann Vollmitgliedschaft“ gesprochen, keiner hat es auch nur angesprochen, keiner hätte es akzeptiert.

Man wurde Vollmitglied und ist parallel dazu gleichzeitig in die Zollunion als gleichberechtigter Partner auf Kommissionsebene und Parlamentsebene eingestiegen – so war das immer, außer bei der Türkei. Auch Kroatien ist nicht sofort in die Zollunion gelangt.

Nun hat die Türkei zwar  mit 1.1.1996 als Mitglied der EU-Zollunion sozusagen die höheren Weihen erreicht, aber nicht bedacht, dass es kein politisches Mitspracherecht sogar nicht einmal einen Beobachte in Brüssel bezüglich seiner eigenen Zölle mit Drittländern haben werde.

EU exportiert in die Türkei Instabilität und Misstrauen? 

Das bedeutet, in Brüssel entscheiden gerade 27 Vollmitglieder der EU, mit den jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Repräsentanten und Interessensvertretern auf allen Ebenen, über die Zukunft der Europäischen Union, wobei jedes Mitgliedsinteresse berücksichtigt wird. Die Türkei steht aber vor verschlossenen Polstertüren und kann nicht einmal in Fragen der Zukunft der eigenen Zollunion mitwirken. Ist das gerecht. Exportiert damit die EU in die Türkei automatisch „Instabilität“ und “ Misstrauen“ ?

Während ihre Vertragspartner ihr Süppchen kochen und es dem Partner kräftig versalzen, hat die Türkei draußen in der Lobby von Brüssel nicht einmal einen eigenen Teekocher und bei denn die Entscheidungen der EU haben auch Auswirkungen auf die Handelsbeziehungen der Türkei  wegen Zöllen mit den Drittländern am Beispiel den Länder Tunesien und  Südkorea!

Während diese Länder fleißig in die Türkei importieren dürfen, darf die Türkei nicht oder nur bedingt in diese Länder exportieren, weil die EU mit diesen Ländern speziell Verträge aufgesetzt hat, weshalb die Türkei aufgrund dieses Zollunionvertrags seine Grenzen für alle Drittländer öffnen muss, aber umgekehrt in diese Drittländer nicht mit den gleichen Bedingungen seine Ware exportieren darf. Ist das Gerecht? Was für eine Friedensunion ist die EU der so in die Türkei ohne gleiche Augenhöhe „Instabilität“ exportiert?

Ein Beispiel!

Bevor die EU mit der Volksrepublik China eine Handelsvereinbarung mit dem Zöllen trifft, werden alle Länder nach ihren Interessen befragt und jedes Mitglied kann durch den jeweiligen Vertreter Einspruch erheben und seine Stellungnahme abgeben. Durch die ungleiche Zoll-Partnerschaft mit der EU ist die Türkei in eine bilaterale Sackgasse geraten. Eine tote Sackgasse, weil der EU nicht nur das Filetstück auf dem Silbertablett serviert wurde,  sondern die Türkei auch dem Irrtum aufsitzt, als gleichberechtigter Partner in Brüssel anerkannt zu werden und somit schon dabei war, ihre Bürozimmer und Polsterstühle in den Sitzungsräumen zu buchen.

Während Waren, Kapital und Dienstleistungen lustig jede Grenze in der EU passieren können, schreibt die EU einreisenden Besitzern der Ware, also türkischen Geschäftsmännern, härteste Visumpflichten vor (Grundbuchauszug, Einkommensnachweis,  Beispiele anführen! etc.). Muss sich ein türkischer Tourist oder Kaufmann von der EU buchstäblich ins „Popoloch“ schauen lassen?

Herabwürdigung bis zum geht nicht mehr.

Auch das als ein gleichberechtigtes Mitglied in der EU verankerte griechische Zypern (ohne dem türkischen Teil der Insel) zeigt, wie doppelmoralisch die EU gegenüber der Türkei Entscheidungen treffen kann und auf welch’ unverschämte Weise sie aufgrund des Zollunionsvertrages jetzt auf die Türkei Druck ausübt, die Zölle für Südzypern zu öffnen.

Das stößt in der Türkei auf heftigen Widerstand und man empfindet es tatsächlich als eine tiefe Erniedrigung. Man hätte zumindest erwartet, dass das Problem mit Nordzypern nicht in die EU getragen wird oder zumindest beide Teile Zyperns, nämlich der griechische und der türkische, gleichzeitig in die EU aufgenommen werden. Außerdem plagt sich die Türkei seit ihrem Beitritt zur Zollunion mit einer stetig wachsenden negativen Außenhandelsbilanz mit der EU.

Die Zollunion in der Form ohne Vollmitgliedschaft schadet der türkischen Volkswirtschaft  und könnte ihr in nächster Zukunft sogar das Genick brechen. Die EU exportiert durch die Zollunion seit 1.1.1996 mehr Waren und Dienstleistungen in die Türkei als umgekehrt. Die EU will auch dass die Türkei Landwirtschaft herunter spielt weil es Landwirtschaft zu viele Menschen arbeiten. Aber die EU unterstützt die Landwirtschaft in der Mitgliedsstaaten massiv mit Subventionen. Warum verlangt die EU von der Türkei dass man die Landwirtschaft zurückdrängt. Will man die Türkei abhängig machen? Was passiert in den nächsten Jahren falls die Türkei die Tierhaltung für das Fleisch und Boden nicht richtig mit dem türkischen Bauern unterstützt.  Die Türkei ist in der Welt eine der ältesten Geografie wo Samen, Boden und Tierhaltung  eine über 10.000 Jahre Know How in sich hat und mit einer Gleichgewicht der Bauern bis jetzt funktioniert hat. Wenn das Gleichgewicht durch die EU  Druck kaputt geht ist die Türkei abhängig an Ausland. Die Türkei muss sogar Fleisch und Tiere aus dem Ausland exportieren.

Warum sollte die Türkei nicht eine EFTA-ähnliche Wirtschaftsbeziehung, wie sie die Schweiz mit der EU für sich speziell vereinbart hat, für Türkei und EU eingehen? Damit könnte Brüssel ohne Ankara nicht über die türkische Außengrenzen und Zölle entschieden.

Eine Mitgliedschaft in der EFTA wäre zumindest sinnvoller als die derzeitige EU-Zollunion.  Dadurch könnte dieser unwürdige Zustand für die Türkei aus der Welt geschaffen werden. Da die Zollunion mit der EU im türkischen Parlament nicht ratifiziert wurde, bräuchte man nur eine Erklärung vom Regierungsministerium, damit man aus dieser Zollunion heraus in eine Schweiz/EU-ähnliche Wirtschaftsbeziehung treten kann.

Aus den eben beschriebenen unzähligen Gründen müsste die Türkei sofort das Zollunionabkommen mit der EU neu verhandeln und die schädlichen Zollbestimmungen bis zur endgültigen EU-Mitgliedschaft auf Eis legen.

Außerdem sollte sie als Übergangslösung einen gleichberechtigten wirtschaftlichen  Vertrag mit der EU vereinbaren. Die nächste Regierung wird das schwere Erbe antreten müssen, die bestehende drückende Zollunion zu lösen oder nach zu verhandeln.

Denn die Wahrheit ist: Die EU hat Angst vor der Türkei, weil die Türkei mit ihrer wachsenden Population eine der größten parlamentarischen Fraktionen sein und in Zukunft starke gewichtete Position haben wird (vergleichbar mit Deutschland). Ein ehrliches und korrektes Verhältnis mit der EU kann es also nur geben, wenn das Vertragswerk für beide Seiten gleichermaßen von Nutzen ist. Dann kann die Türkei endlich über ihre Zölle und Handelsbeziehungen  souverän entscheiden, anstatt nach der Pfeife der EU tanzen zu müssen. Die EU und die Türkei haben eine unehrliche Beziehung. Der größte Fehler liegt aber in der Türkei. Die Türkei muss endlich eine echte Rechtsstaat  sein  und die Politiker müssen nicht korrupte Staatsmänner sein die einfach auch mit der EU auf gleichen Augenhöhe spricht.

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