Vor 30 Jahren wurde in einem weißrussischen Wald-Hotel Geschichte geschrieben

Als das Ende der Sowjetunion am 7. Dezember 1991 unterschrieben wurde.

Otmar Lahodynsky

Sichtlich emotional schilderten die alten Herren in Wien die Umstände der Unterzeichnung des Vertrags zur Auflösung der Sowjetunion vor 30 Jahren am 7. und 8. Dezember 1991. Vier der noch lebenden Unterzeichner bzw. Mitwirkenden des „Abkommen zur Gründung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“ (GUS) trafen sich am 17. November 2021 an der Diplomatischen Akademie Wiens.

Sie folgten einer Einladung des Austria Instituts für Europa- und Sicherheitspolitik (AIES) bzw. einer Initiative des österreichischen Diplomaten Martin Sajdik, welcher vor zwei Jahren bei den OSCE-Friedensgesprächen in der Ostukraine eine große Rolle gespielt hatte.

Was zu dieser Zeit in einem Hotel in einem weißrussischen Walde passiert war, war ursprünglich von den Teilnehmern, nämlich den Staats- und Regierungschefs der drei Sowjetrepubliken Weißrussland, Russland und Ukraine, überhaupt nicht geplant gewesen.

Von so etwas wie einer Agenda fehlte dabei jegliche Spur.

Die Weißrussen wollten, laut dem ehemaligen Staatschef von Weißrussland Stanislav Shushkevich hauptsächlich nur über die Energieversorgung aus Russland reden. Shushkevich war aus gesundheitlichen Gründen der einzige der vier Teilnehmer, welcher via Video-Konferenz zugeschaltet wurde.

v. l. n. Kravchenko, Fokin, Sajdik, Burbulis

Die vier älteren Herren haben bereits vor dem Entscheidungstreffen vor 30 Jahren zugestimmt, dass die Sowjetunion nicht mehr existiert. Das Einzige, was noch fehlte, war ein de jure-Auflösungsvertrag.

In dem verschneiten Wald sei damals weder Verrat noch Verschwörung passiert, erklärte der damalige ukrainische Ministerpräsident Witold Fokin (*1932) am Mittwoch in Wien. „Wir haben an unser Heimatland und das dortige Wohl gedacht“,sagte er.

Kurz davor aber gab es Druck vom Sowjetischen Präsident Mikhail Gorbatschov, ein neues Bündnis zu unterzeichnen, welches es der Sowjetunion ermöglicht hätte, in einer neuen Struktur weiter zu existieren. „Mir kam der Gedanke, dass die Ukraine eine reale Chance hätte, ein unabhängiger und souveräner Staat zu werden“, erklärte Fokin.

Der damalige russische Vize-Premierminister Gennadi Burbulis (geb. 1945)

Der Ukrainer dementierte das Gerücht, dass die Politiker damals alkoholisiert über das Schicksal einer Weltmacht entschieden hätten. „Wir haben höchst konzentriert gearbeitet. Natürlich haben wir aber nach einem harten Arbeitstag ein wenig Whiskey und Vodka getrunken. Man muss aber auch beachten, dass wir damals 30 Jahre jünger waren als jetzt“, sagte er. Am Morgen danach waren aber alle wieder ausgenüchtert.

Der damalige russische Vize-Premierminister Gennadi Burbulis (*1945), welcher zusammen mit Boris Jelzin das Abkommen für Russland unterzeichnet hatte, sprach von einer zentralen Rolle der Ukraine beim Ende der Sowjetunion. Im Zuge der Präsidentschaftswahlen und einem Referendum am 1. Dezember 1991, bei dem 90% der ukrainischen Bevölkerung für die Unabhängigkeit der Ukraine gestimmt hatten, habe die Ukraine „herausragende Legitimität für ihr jahrhundertelanges Streben nach Souveränität erhalten“, betonte Burbulis.

Vor ihrem Ausflug in den Belovezh Dschungel hatte der sowjetische Präsident Gorbachov Boris Yeltsin gefragt, ob man einen Vertrag zur Erneuerung der Sowjetunion aushandeln könnte. Aber die ukrainische Delegation hatte erklärt, dass dies nicht möglich wäre. „Der ukrainische Präsident Leonid Kravchuck hat gesagt, dass er nicht wusste, wo der Kreml ist und wer dieser Gorbachov überhaupt sein sollte“, erklärte der russische Politiker. Außerdem hatten die Ukrainer auch jegliche Art von Konföderation ausgeschlossen.

Daher griff man schließlich auf das Wort „sodrushestvo“ zurück, dass im Russischen als britisches „Commonwealth“ übersetzt wird, erklärte Burbulis. Im Gespräch waren zukünftige Kooperationen ohne Verpflichtungen, welche auf Freundschaft und Vertrauen bauen sollten, sagte er. Aber aufgrund der ukrainischen Haltung war Yeltsin die treibende Kraft hinter dem Abkommen am 8. Dezember, behauptete der damalige belarussische Außenminister Pyotr Kravchenko in Wien. Andrey Kozyrev, zu der Zeit Kravchenkos russisches Pendant und naher Mitstreiter Yeltsins, überraschte Kravchenko damals in einem Flugzeug auf dem Weg zum Belovezh Dschungel von dem geplanten Abkommen am 7. Dezember. Der Text des Abkommens wurde dann in der Nacht zum 8. Dezember ausgearbeitet. Kravchenko berichtete auch von der Passivität der ukrainischen Delegation, welche nur eine Änderung an dem Abkommen verlangt hatte. Ursprünglich war die Rede von einer „Gemeinschaft von demokratischen Staaten.“  Einer der ukrainischen Verhandelnden hatte aber darauf bestanden, dass man „demokratisch“ in „unabhängig“ abändert in Verbindung mit dem ukrainischen Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Dezember 1991.

Ein Teilnehmer war erstaunt zu hören, dass das Abkommen bereits die Weitergabe von Atomwaffen aus der Ukraine, Weißrussland und Kasachstan an die russische Föderation als Rechtsnachfolgerin der Sowjetunion vorsieht. In der Präambel wurde seinerzeit auch die gegenseitige Achtung der territorialen Integrität der neuen Staaten vereinbart.

Dies hatte für ein weitgehend friedliches Ende der Sowjetunion gesorgt, obwohl der Zerfall von Imperien normalerweise immer zu gewaltsamen Unruhen geführt hatte.

In der Präambel wurde seinerzeit auch die gegenseitige Achtung der territorialen Integrität der neuen Staaten vereinbart. Kurz darauf führte die Auflösung des jugoslawischen Staates tatsächlich zu einem Krieg mit zehntausenden Opfern.

Doch als der Auflösungsvertrag der Sowjetunion geschrieben worden war, war den Unterzeichnern zunächst nicht bewusst gewesen, dass im verschneiten weißrussischen Wald Weltgeschichte geschrieben wurde. Als sie am nächsten Morgen die sowjetische Hymne im Radio hörten, kamen ihnen die Tränen.

Denn trotz all den Makeln war die Sowjetunion ein „großartiger Staat“ gewesen, für dessen Wohl die Zeitzeugen auch gern gearbeitet hatten. Die Sowjetunion war auch ein Gegengewicht zu anderen Weltmächten, allen voran den USA. Erstaunlicherweise war der Burbulis, der Russe, am wenigsten nostalgisch: „Die Sowjetunion war ein ‚totalitärer Staat‘, welcher zurecht aufgelöst wurde“, sagte er.

Kurz nach dem Treffen im Belovezh Dschungel verschwand die Sowjetunion von der Weltkarte und 18 neue Staaten wurden erschaffen. Die ersten, die die Unabhängigkeit erklärten, waren die drei baltischen Staaten. Der sowjetische Präsident Mikhail Gorbachov, welcher monatelang versucht hatte, den sowjetischen Staat in einer erneuerten Form zu retten, gab am 25. Dezember 1991 seinen Rücktritt bekannt und die rote Flagge mit Hammer und Sichel wurde vom Kreml genommen.

Der Autor dieser Zeilen war zu der damaligen Zeit Korrespondent in Brüssel. Mitte Dezember 1991 fand das Treffen der NATO-Außenminister in Brüssel statt. Wie schon seit einiger Zeit waren die Vertreter der Länder der Partnerschaft für den Frieden eingeladen, darunter auch der Botschafter der Sowjetunion. Er verlas einen Brief von Boris Jelzin, in dem dieser eine Zusammenarbeit mit der westlichen Allianz in Aussicht stellte, die später sogar eine „Mitgliedschaft“ beinhalten könnte. Danach verlangte der russische Botschafter, dass man alle Symbole der erloschenen Sowjetunion entferne und die neue Fahne der russischen Föderation, für welche er nun Botschafter war, hisse. Dies war aber noch nicht möglich. Deshalb erschienen NATO-Beamte und sie nahmen eilig die gehisste rote Flagge der Sowjetunion vom Fahnenmast.

Im Jahr 2005 beschrieb der Kreml-Führer Vladimir Putin die Auflösung der Sowjetunion als die größte geopolitische Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts. Später antwortete er auf die Frage nach seinem politischen Wunsch, dass er die Sowjetunion wieder ins Leben rufen würde, wenn es möglich wäre.

Vor 30 Jahren hätten die Politiker im weißrussischen Wald, die den letzten Nagel in den Sarg des sowjetischen Experiments schlugen, nicht im Entferntesten an diese Idee gedacht. Es ist unglaublich, wie sehr sich die Dinge in den letzten drei Jahrzehnten verändert haben. ( übersetzt aus dem englischen von yenivatan.at)

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