Nietzsches Moralkritik im Vergleich zu den koranischen Suren Maun und Luqman!

Eine ethische Reflexion zu religiösem Missbrauch und innerer Verantwortung im Kontext der Türkei.

Birol Kilic, Analyse und Beobachtungen aus Wien, 6.09.2025

Die moralische Orientierung des modernen Individuums wird sowohl durch säkulare Philosophie als auch durch religiöse Texte geprägt. Nietzsches Also sprach Zarathustra bietet eine fundamentale Kritik an traditionellen Moralsystemen, während die Suren Maun und Luqman im Koran die ethische Verantwortung des Einzelnen betonen. Ziel dieser Arbeit ist es, die Konzepte der inneren Verantwortung und der Kritik an äußerlicher Frömmigkeit in beiden Denktraditionen vergleichend zu analysieren.

Warum diese Analyse heute notwendig ist – Moral, Religion und die Krise der Glaubwürdigkeit

In der heutigen Welt wird viel über Moral gesprochen – in politischen Reden, religiösen Predigten und öffentlichen Debatten. Doch was bedeutet Moral wirklich? Eine oft übersehene Wahrheit ist: Man muss zuerst ein moralischer Mensch sein, bevor man sich als religiös bezeichnen kann. Ohne ethische Integrität wird Religion zur bloßen Fassade, zur Maske für Machtstreben und Heuchelei.

Sowohl Friedrich Nietzsche als auch der Koran zeichnen das Bild eines Menschen, der nicht durch äußere Frömmigkeit, sondern durch innere moralische Haltung definiert wird. Sie stellen sich gegen jede Form von religiösem Missbrauch und gegen jene, die unter dem Deckmantel des Glaubens Unrecht ausüben. Besonders die Luqman-Sure warnt in Vers 33 eindringlich:  

„Vorsicht! Der große Täuscher soll dich nicht im Namen Allahs bzw. Gottes täuschen und betrügen.“

Diese Warnung richtet sich gegen religiöse Händler, gegen jene, die Gottesnamen benutzen, um andere zu manipulieren – ein Phänomen, das heute nicht nur die islamische Welt, sondern auch jüdische und christliche Gemeinschaften betrifft.

Die islamische Welt leidet heute nicht an einem Mangel an Religion, sondern an einem Übermaß an religiösem Missbrauch. Dincilik, religiöser Opportunismus und die Kommerzialisierung des Glaubens – oft betrieben von religiösen Autoritäten selbst – untergraben die ethische Substanz der Religion. Nietzsche sah ähnliche Entwicklungen in seiner christlich geprägten Umgebung und rief aus:  

„Gott ist tot.“  

Nicht, weil er den Glauben ablehnte, sondern weil er die Heuchelei und moralische Leere jener kritisierte, die sich als Vertreter Gottes ausgaben.

Diese Arbeit ist daher mehr als ein akademischer Vergleich. Sie ist ein Ruf zur ethischen Selbstprüfung. Sie will zeigen, dass wahre Religiosität ohne Moral bedeutungslos ist – und dass sowohl Nietzsche als auch der Koran uns auffordern, zuerst gerechte, aufrichtige Menschen zu sein, bevor wir uns auf Gott berufen.

Wir haben nicht umsonst bereits zwei Bücher über Immanuel Kan ( 1724-1804)  im Neuen Welt Verlag veröffentlicht. ( Quelle1, Quelle 2)  Kants Haltung: „In der Moralphilosophie betont Kant, dass moralisches Handeln auf der Vernunft und dem kategorischen Imperativ basiert. Dieser besagt, dass man nur nach Prinzipien handeln soll, die als allgemeines Gesetz für alle gelten könnten. Moralische Handlungen müssen aus Pflicht und nicht aus Neigung erfolgen. Ihre Gültigkeit muss auf der Autonomie und Würde des Menschen beruhen. Das bedeutet, dass moralische Entscheidungen universell und zwingend sind.“

Nietzsches Moralkritik und christlich geprägte Kultur

Friedrich Nietzsche(1844-1900)  verfasste nach KantAlso sprach Zarathustra“ zwischen 1883 und 1885 – eine Zeit intensiver Auseinandersetzung mit der christlichen Moral. Aufgewachsen in einem protestantischen Elternhaus und ursprünglich theologisch gebildet, wandte er sich früh von der christlichen Lehre ab. Für ihn ist das Christentum eine lebensverneinende Moral, die Leid verherrlicht und den Willen des Individuums unterdrückt.

Sein berühmter Satz „Gott ist tot“ ist nicht nur eine metaphysische Behauptung, sondern auch eine kulturelle Diagnose: Die christliche Moral hat ihre normative Kraft verloren. Die Figur Zarathustra verkörpert die Ablehnung überkommener Werte und ruft zur Selbstgesetzgebung auf. Der Übermensch steht für ein Individuum, das sich von Demut und Gehorsamkeit emanzipiert und schöpferisch neue Werte setzt.

Nietzsches Kritik ist nicht nur theologisch, sondern auch ethisch, kulturell und anthropologisch. Gegen die dualistische Trennung von Körper und Geist im Christentum stellt er eine lebensbejahende Philosophie, die Körperlichkeit und Wille affirmiert. Diese Perspektive lässt sich mit den koranischen Vorstellungen von innerer Verantwortung und moralischer Kohärenz produktiv vergleichen.

Der Mensch im Koran: Verantwortung und Weisheit

Die Maun-Sure kritisiert jene, die zwar beten, aber Waisen missachten und Bedürftige nicht unterstützen. Sie stellt die Diskrepanz zwischen religiöser Praxis und sozialer Verantwortung in den Mittelpunkt – eine Kritik, die mit Nietzsches Ablehnung äußerlicher Moralformen korrespondiert.

Die Luqman-Sure enthält ethische Weisheiten, die Demut, Dankbarkeit und Verantwortungsbewusstsein fördern. Sie fordert eine Lebensführung, die auf innerer Einsicht und moralischer Integrität basiert. Im Koran ist Moral nicht bloß Ritual, sondern ein umfassender Lebensstil, der sowohl die Beziehung zu Gott als auch zur Gemeinschaft umfasst.

Analyse und Vergleich

  Innere Verantwortung: Sowohl Nietzsche als auch die Luqman-Sure betonen, dass das Individuum eigene Werte entwickeln und authentisch leben soll.

  Äußerliche Frömmigkeit: Die Kritik der Maun-Sure an oberflächlicher Religiosität spiegelt sich in Nietzsches Ablehnung der „Herdmoral“ wider.

  Soziale Verantwortung: Während der Koran die Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft betont, fordert Nietzsche eine Selbsttranszendierung unabhängig von sozialen Normen – ein Spannungsverhältnis, das zur kritischen Reflexion einlädt.

Diese Arbeit untersucht Friedrich Nietzsches Moralkritik in Also sprach Zarathustra im Vergleich zu den Suren Maun und Luqman aus dem Koran. Nietzsches Ideal des „Übermenschen“ stellt eine radikale Absage an die „Herdmoral“ dar und betont die Fähigkeit des Individuums, eigene Werte zu schaffen. Die Maun-Sure kritisiert eine Religiosität, die soziale Verantwortung vernachlässigt und Bedürftige ausbeutet. Die Luqman-Sure hebt Weisheit und Demut hervor und warnt vor religiösem Missbrauch.  

Beide Texte fordern Authentizität, innere Verantwortung und die Ablehnung von Heuchelei.

Fazit

Trotz ihrer unterschiedlichen kulturellen und religiösen Kontexte fordern sowohl Nietzsche als auch der Koran ethische Kohärenz und innere Verantwortung vom Individuum. Die Kritik an bloßer äußerlicher Frömmigkeit und die Betonung authentischer Lebensführung verbinden beide Texte auf überraschende Weise. Diese Arbeit schlägt eine Brücke zwischen philosophischer und theologischer Ethik und bietet einen Beitrag zur zeitgenössischen Moraldebatte. Weitere Studien könnten diesen Vergleich auf andere religiöse und philosophische Texte ausweiten und die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft vertiefen.

Literaturverzeichnis

Nietzsche, Friedrich. Also sprach Zarathustra. Übers. von Arthur Seidl. Leipzig: Kröner Verlag, 1883.  

https://www.kroener-verlag.de/books/also-sprach-zarathustra.html 

https://www.gutenberg.org/files/7205/7205-h/7205-h.htm

Demirci, Muhsin. Die ethischen Lehren der Luqman-Sure. Istanbul: IFAV Verlag, 2010.  

https://ilahiyat.marmara.edu.tr/arsiv/profdr-muhsin-demirci

Koran. Sure Maun (107). Übers. von Rudi Paret. Stuttgart: Kohlhammer Verlag, 2010.  

https://koranaufdeutsch.de/sure-107-die-hilfeleistung-al-maun/  

https://shop.kohlhammer.de/kohlhammer/redirect?search=978-3-17-022670-8

Koran. Sure Luqman (31). Übers. von Rudi Paret. Stuttgart: Kohlhammer Verlag, 2010.  

https://koran-deutsch.com/31Luqman  

https://shop.kohlhammer.de/kohlhammer/redirect?search=978-3-17-026978-1

 

 

Relevante Artikel

Back to top button
Cookie Consent mit Real Cookie Banner