Jahr 1934: Der Bildhauer Heinrich Krippel-Atatürks Bildhauer

"Wir sind im Jahre 1934 und in Wien lebt einer der erfolgreichsten Bildhauer unserer Zeit. Er hat in Österreich viel geschaffen, und bei den Wettbewerben, an denen er teilgenommen hat, ist er nur selten unbedankt und ohne Preis geblieben. Dennoch kennen nicht allzu viele unter uns auch nur seinen Namen. In Kleinasien in der Türkei jedoch spricht von ihm fast jedes Kind, jeder Rekrut, jeder Lastträger als Atatürks Bildhauer." Friedrich Wallisch, 1934

Die türkische Republik feiert 2023  ( Gegründet: 29.10. 1923) ihr hundertjähriges Bestehen und „Yeni Vatan Gazetesi“, die Neue Heimat Zeitung macht es sich zu diesem besonderen Anlass zur Aufgabe, sich in ihren Nachrichten, Projekten und Analysen besonders Themen der österreichischen Herkunft zu widmen.

Friedrich Wallisch (* 31. Mai 1890 in Mährisch-Weißkirchen; † 7. Februar 1969 in Wien) war ein österreichischer Erzähler, Dramatiker, Lyriker und Arzt und hat im Jahre 1934 folgendes Artikel  mit dem Titel, “ Der Bildhauer Heinrich geschrieben.“

Der Bildhauer Heinrich Krippel

Von Friedrich Wallisch , In: Der getreue Eckart 12 (1934/35), Seite. 689-693

Wir sind im Jahre 1934 und in Wien lebt einer der erfolgreichsten Bildhauer unserer Zeit.

Er hat in Österreich viel geschaffen, und bei den Wettbewerben, an denen er teilgenommen hat, ist er nur selten unbedankt und ohne Preis geblieben.

Dennoch kennen nicht allzu viele unter uns auch nur seinen Namen. In Kleinasien in der Türkei jedoch spricht von ihm fast jedes Kind, jeder Rekrut, jeder Lastträger als Atatürks Bildhauer. Ein Einzelgänger hat es manchmal schwerer als die anderen, denn es ist niemand da, der ihm die halbe Arbeit des Kampfes um Anerkennung abnehmen würde. Der Einzelgänger findet nicht die öffentliche Meinung schon mit Pflug und Egge zur Saat bereitet vor. Er ist auf sich selbst angewiesen er trägt allein die ganze Last der künstlerischen Verantwortung. Aber findet man nicht gerade unter den Einzelgängern die Besten?

Der Bildhauer Heinrich Krippel ist zeitlebens seinen eigenen Weg gegangen. Der Glückliche, sein Weg lief schnurgerade. Als Kind schon hat Krippel gezeichnet, gemalt und modelliert. Durch seine treffsicheren Karikaturen erwarb er in der Mittelschule die einstimmige Abneigung der karikierten Lehrer. Nach diesem Mißerfolge, der allerdings sein Glaube an sein Können nur bestärken konnte, besuchte er die Wiener Kunstakademie, dann durchwanderte er Dalmatien und Italien. Er studierte die Meister der Renaissance – und lehnte den Geist der Renaissance, als er ihn erkannt hatte, innerlich ab. Die altägyptische Plastik, die er nicht etwa in Ägypten, sondern im Wiener Museum kennenlernte, befriedigte ihn ungleich mehr. Als geborener Bildhauer empfindet Krippel die Kunst dreidimensional. Er fand, daß sich die alten Ägypter infolge des Zwanges, den der harte Granit und Porphyr ihrem Schaffen auferlegte, zu größerer künstlerischer Tiefe durchringen mussten als die meisten – nicht alle –Plastiker der Renaissance.

Von Ägypten kam Krippel auf die Kunst des Orients, die ihn schon in seinen Werdejahren fesselte, obwohl er nie den Orient betrat. Indes lag in dieser Vorliebe etwas merkwürdig schicksalhaftes für sein ferneres Leben. Krippel hat in Wien eine Reihe von Porträtbüsten geschaffen, die außerordentliches Können verraten. Krippels Kunst ist allem Einseitigen und Schablonenhaften fern: Hier etwa die wuchtige Technik einer Männerbüste, dort das Weiche und Liebliche, das aus dem Bildniskopf der jüngeren Tochter des Meisters spricht. Eine Brunnenfigur, die in der Hinterbrühl bei Mödling steht, zeigt eine Badende. Die tänzerisch anmutige Gestalt läßt sich eigentlich nicht photographieren, Ihr voller Reiz liegt im Dreidimensionalen. Sie wirkt von jeder Seite betrachtet anders und immer wieder neuartig. Einige kühn erdachte Grabdenkmale und Mausoleen geben Kunde von Krippels vergeistigter Art.

Bezeichnend ist die Geschichte des Grabmals “Auferstehung”. Der Meister schuf dieses überaus eigenartige Werk ohne Bestellung. Große, aus Wolken herausgreifende Finger heben den Kopf des Verklärten auf, so daß sich seine Augen in den Himmel richten. Eines Tages kam eine Witwe zu Krippel und ersuchte ihn, ein. Grabdenkmal für ihren Gatten zu schaffen. Sie setzte ihm genau ihre Gedanken und Wünsche auseinander. Der Meister hob das Tuch von seinem längst fertiggestellten aber unveröffentlichten Werke “Auferstehung” – und es war bis in die letzte Einzelheit das, was die Witwe verlangt hatte.

Für Wiener Neustadt schuf er das Kriegerdenkmal. Es steht an der Wand der romanischen Kirche. , Ein Gewappneter, der in den weit ausgebreiteten Hände Lanze und Fahne trägt. Hier verbindet sich aufs beste die Einfühlung in den Stil der Umwelt mit einer durchaus persönlichen Schaffensart. Und noch eins: Die mannhaft aufgeweckte Gestalt mit der an den Gekreuzigten gemahnenden Haltung der Arme ist Held und Dudler zugleich.

Krippel und Türkei Atatürk

Im Jahre 1925 beteiligte sich der Künstler an dem Wettbewerb für ein Denkmal des türkischen Staatspräsidenten Kemal, das in der neuen Hauptstadt Angora errichtet werden sollte. Krippel erhielt diesen Auftrag und sogleich noch einen zweiten, auch für Konstantinopel, ein Kemal-Denkmal zu schaffen. Man könnte wirklich glauben, dieser deutsche Meister aus Österreich hätte seit jeher in seinem Unterbewusstsein die Bestimmung mit sich getragen, daß der Orient, den er nie gesehen, seinem Künstlertum die Erfüllung bringen würde. Die beispiellose staatsmännische Leistung Kemals ist in Krippels Denkmalen des Gafi verkörpert. Das Standbild für Konstantinopel bildet eine durchaus revolutionäre Tat, wie ja auch der Dargestellte in des Wortes vollster Bedeutung Revolutionär ist.

Dieses Denkmal zeigt den Staatsmann und Feldherrn in modischem Sakko. Die Züge sind voll Leben und Spannkraft. Die Stellung mit der in die Hüfte gestemmten Linken, der zur Faust geballten Rechten, dem breiten Stand, ist nicht nur für Kemal persönlich kennzeichnend, sondern bekundet auch die zielbewusste und selbstbewusste Energie, die ihn zum Siege geführt hat. In den breiten Schultern und schmalen Hüften liegt etwas bezwingend Männliches. Der lange Umschlag des Sakkorodes betont dies ausgezeichnet. Erinnert man sich an den bombastischen Vomp des von Kemal überwundenen Sultanreiches, so begreift man erst das Revolutionäre der Darstellung im Straßenanzug. Es ist die Verkörperung der in die abendländische Zivilisation eingegangenen, bürgerlichen, republikanischen Türkei.

Das Denkmal ist mit dem Rücken gegen den alten Serail an der sogenannten Serailspitze Istanbul aufgestellt, dort wo sich die Gewässer des Marmarameeres, des Bosporus und des Goldenen Horns vereinigen. Kemal gab den Türken die westliche Zivilisation, um sein Volk stark und unabhängig zu machen. Aber er ist zugleich derjenige, der Kleinasien, die Weite Anatoliens, als die unbesiegbare Kraftquelle des Reiches wiedererkannt hat. Deshalb steht das Denkmal dem heute zu einem Museum gewordenen Serail und Harem abgewandt, mit dem Rücken gegen Europa, und blickt übers Meer nach Asien hin.

Ganz anders mutet das Reiterdenkmal des Gafi in Ankara an. Die ruhige Gestalt des Staatsführers atmet die Sicherheit des vollendeten Sieges. Sie steht auf einem ungewöhnlich hohen weißen Marmorsockel, der mit Flachreliefs geschmückt ist. Die von Mauerfinken bekrönten, kriegerisch wirkenden Fundamente tragen drei Standbilder: einen Späher, einen Vorposten, der mit kraftvoller Gebärde die Truppe aufruft, ihm zu folgen, und rückwärts, als drittes, eine Frau, die eine Granate auf der Schulter trägt. Man weiß wahrhaftig nicht, welche dieser drei Figuren, die jede in ihrer Art ein eigenartiges Ganzes bildet, den Vorrang verdient. Ungemein eindrucksvoll ist die Frauengestalt, bezaubernde Weiblichkeit verbindet sich mit Kraft und Opferwillen. Das Denkmal in Ankara bildet ein Siegeszeichen des ganzen Volkes. Der Ausstellungsplatz ist der denkbar beste, eine erhöhte

Fläche im Mittelpunkt der rasch wachsenden Hauptstadt, mit dem Blick über die Unendlichkeit des anatolischen Landes.

Nach der orthodox sunnitischen Richtung des Islams, die hier bis zur Revolution herrschte, war die Darstellung lebender Wesen verpönt. Kemals Denkmale des Gafi, in denen das Volk seinen Führer und damit sich selbst ehrt, sind überhaupt die ersten Bildnisskulpturen in der Türkei! Und da es der Künstler so wundervoll verstand, auszudrücken, was in den Herzen lebte, gewann er mit seinen Denkmalen im Fluge die Zuneigung aller Kreise des Volkes.

Der mächtige Auftrag, der ihm erteilt wurde, galt einem Denkmal in Samsun, der größten türkischen Stadt am Schwarzen Meer. Hier trat nun wieder eine andere Auffassung an den Künstler heran. In Samsun hat Kemal sich vom Sultan losgesagt und die Revolution entfacht. Sein Angriff gegen die Inneren und Äußeren Feinde setzte hier ein. Deshalb ist das Reiterdenkmal in Samsun voll aufflammender Bewegung. Kemal zieht den Säbel. Sein Pferd bäumt sich hoch. Der lange, den Boden berührende Roßschweif ist nicht etwa eine technische Stütze, er dient vielmehr der bildhaften Abrundung des Gesamteindruckes.

In die vier Flächen des aus schlichten Quadern gefügten Sockels sind türkische Spitzbogen eingesetzt, eine architektonisch vorzügliche Lösung. Das Feld im vorderen Spitzbogen enthält eine Inschrift, die übrigen drei Felder sind mit Reliefdarstellungen der Revolutionskämpfe ausgefüllt. Zu Krippels eindrucksvollsten Arbeiten zählt das Relief der linken Denkmalseite: Kemal ist in Samsun gelandet und wird vom Volke als Befreier von qualvoller Not mit Inbrunst begrüßt. Die wie verklärt wirkende Erscheinung des Helden und Retters steht im Mittelpunkt, umdrängt von der Liebe und Verehrung der Seinen.

Die erwähnten Denkmale des Gafi sind bei aller Selbstständigkeit des künstlerischen Gedankengutes und der Komposition doch streng an das dem Bildhauer vorgeschriebene Motiv gebunden, sowohl im Porträt wie in dem sinnbildlich-geschichtlichen Beiwert. Das im Jahr 1935 errichtete Siegesdenkmal in Afiun-Kaharissar (Afyonkaharisar) aber bildet eine freie Schöpfung ohne naturalistische Bindungen. Bei Afiun-Kaharissar im Inneren Anatoliens entschied sich 1922 das Schicksal der Türkei. Hier errang Kemal einen vollständigen Sieg über die Griechen, die den Willen der Entente vollstrecken sollten. Das Denkmal nun, das Krippel für diese Stadt geschaffen hat, stellt zwei Giganten dar, der eine krümmt sich, zu Tode getroffen, auf der Erde, der andere schreitet aufrecht über ihn hinweg, sein Blick ist auf den Liegenden gerichtet, seine mächtigen Hände sind bereit, noch einmal auf den Gegner niederzufahren, wenn er sich wieder erheben würde.

Eines der Bronzerelief der Sockel zeigt die drei türkischen Heerführer vor der Generalstabskarte beim Entwurf des Planes für die Schlacht. Kein Zweifel, dieses kleine Relief ist als Verkörperung eines rein geistigen Vorgangs eine der großartigsten türkischen Leistungen des Meisters. Marschall Fevzi Pascha hält die Front: Ismet Pascha, der spätere Ministerpräsident, umgeht den Gegner; Kemal in der Mitte, stößt an einer Stelle, wo es der Feind nicht erwarten würde, mit seinen Truppen vor.

Das zweite Relief ist ein Sinnbild für die Wucht des türkischen Angriffs. Die beiden Stahlhelmmänner sind Form gewordenes Vorwärtsstürmen. In der verzerrten Miene des Gegners verkörpert sich die maßlose Erbitterung des Kampfes. Die splitternde Palisade macht das Unaufhaltsame des Vordringens augenfällig. Das Samariterwerk der Nichtkämpfer – außer den Greisen, Frauen und Kindern stand das ganze Volk in Waffen – erhält sein Denkmal in der Gestalt eines Alten, der einen dritten niedergebrochenen türkischen Stahlhelmmann aus der Front zu bergen versucht. Wie das Relief der zwei Heerführer zeigt auch dieses hier in seinen auf einen Punkt zusammenlaufenden Linien die einheitliche Kraft des Siegeswillens.

Krippels Schaffen ist an seine Schule und an seine Stilart gebunden. Aber der Grundzug seines künstlerischen Glaubens und Willens ist doch unschwer zu erkennen. Ihm geht es immer darum, einen bestimmten geistigen Inhalt klar und eindeutig zur Anschauung zu bringen. Seine Naturalistik ist nicht Selbstzweck. Sie wird bis an die äußerste Grenze des körperlich Möglichen vorgetrieben, um die Idee auf lebendigste Art zu materialisieren. Dieser Wiener Meister ist eben nicht nur ein Bildhauer, der die Ausdruckskraft des Organischen und des Werkstoffes beherrscht, er ist zugleich Lyriker und Dramatiker. Wohl uns, daß unser Volk einen Künstler besitzt, der mit so viel seelischer Reinheit und Größe und mit soviel naturgegebenem Können am Werke ist.
( Friedrich Wallisch,  In: Der getreue Eckart 12 (1934/35), S. 689-693)

Atatürk’ün heykeltıraşı Viyana doğumlu Krippel’ın yok olan mezarı dualar ile yeniden yapılacak

https://www.yenivatan.at/atatuerkuen-heykeltirasi-viyana-dogumlu-krippelin-yok-olan-mezari-yeniden-yapilacak/

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