Yeni Vatan-Wahlen-Migranten: Tradition macht noch keine Kreuzchen

Tradition macht noch keine Kreuzchen

Österreicher mit Migrationshintergrund wählten bisher eher links. Wie sieht es bei den Nationalratswahlen 2017 aus? Von Grün redet niemand, die SPÖ scheint es sich vor allem mit Türkischstämmigen zu verscherzen – aber sind Schwarz oder gar Blau eine Alternative?

Von Stephanie Schuster-Yeni Vatan Gazetesi („Neue Heimat Zeitung“)

Wien – Für Yakup Tütünci ist die Sache klar: SPÖ schreibt er in großen Lettern auf ein Stück Papier – als ob er den Namen seiner favorisierten Partei nicht laut aussprechen wollte, um so zumindest ein Stück weit das Wahlgeheimnis zu wahren. „Ich bin zufrieden mit den Sozialdemokraten und Herrn Kern“, sagt der 35-jährige Österreicher mit türkischen Wurzeln, der seit vier Jahren in der Fußgängerzone von Favoriten einen Kebab-Laden betreibt. Bei den bevorstehenden Nationalratswahlen wird er sein Kreuz deshalb wie gewohnt bei den Roten machen. „Das bleibt auch so, einmal SPÖ, immer SPÖ, das ist wie wenn man Fan von Rapid Wien ist“, sagt Tütünci voller Überzeugung.

Yakup Tütüncü

Fast 300.000 Menschen mit türkischen Wurzeln leben in Österreich, rund 120.000 davon haben längst die österreichische Staatsbürgerschaft und sind am 15. Oktober zur Wahl aufgerufen. Gut 150.000 weitere Wahlberechtigte stammen aus Einwandererfamilien aus Bosnien, Serbien oder Kroatien. Doch wem geben Wähler mit Migrationshintergrund ihre Stimme? Von welcher Partei fühlen sie sich angesprochen – in einem Wahlkampf, in dem sie fast das gesamte Politspektrum links liegen lässt, offenbar aus Furcht, dass derzeit mit allzu offener Sympathie für Migranten, Muslime oder Flüchtlinge kein Staat zu machen ist?

Ayik Güner, der sich auf einer Bank vor der Keplerkirche in Wien-Favoriten die Zeit vertreibt, hat 2013 noch voller Überzeugung die Sozialdemokraten gewählt. Heute zweifelt der 52-Jährige, der 21 Jahre lang als Maschinenführer gearbeitet hat, bis er vor fünf Jahren arbeitslos wurde. „Das ist nichts mehr mit der SPÖ.“ Die Volkspartei von Sebastian Kurz sei allerdings kaum eine Alternative für ihn. „Der lügt doch genauso.“ Also die Freiheitlichen? Er müsse noch überlegen, sagt Güner. „Aber es kann doch nicht sein, dass ein Flüchtling mehr bekommt als ich, das ist nicht fair“, redet sich der Mann seinen Frust von der Seele – und gibt damit die Worte der Blauen wieder.

Slodjana Marinkovic

„Den Strache würde ich niemals, niemals wählen“, sagt Slodjana Marinkovic, die ein paar Meter weiter mit Freunden in einem Café sitzt. Ihre Eltern waren Gastarbeiter aus Mazedonien, sie selbst kam als kleines Kind vor über 30 Jahren nach Wien – und seit sie wählen darf, macht sie ihr Kreuz bei der SPÖ. „Die sind für Integration und sorgen dafür, dass es uns allen gut geht, egal ob Ausländern, Jungen oder Alten.“ In letzter Zeit hätte zwar auch Sebastian Kurz gute Vorschläge gemacht, muss Marinkovic eingestehen. „Aber er wird sie nicht halten können, deshalb: nein zur ÖVP.“

Mula Dizdar

Mula Dizdar hat bosnische Wurzeln und wählt ebenfalls SPÖ. „Das ist Tradition in Gastarbeiterfamilien“, sagt die 42-jährige Bürokauffrau – die die Sozialdemokraten nicht nur mit ihrer Stimme, sondern sogar als tatkräftiges Mitglied unterstützt. „Ich wollte eigentlich nie in eine Partei, aber als der Rechtsruck in den letzten Jahren immer stärker wurde, merkte ich, dass ich Farbe bekennen muss.“ Nun engagiert sie sich im Team von SPÖ-Integrationskoordinator Ahmed Husagić, einem gebürtigen Bosnier, und setzt sich unter anderem dafür ein, andere Menschen mit Migrationshintergrund zum Urnengang zu animieren. „Das Schlimme ist, dass viele  von ihnen nicht wählen gehen oder teils nicht mal wissen, wann Wahlen sind und wie das Prozedere funktioniert“, sagt Dizdar.

Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier von der Donau-Universität Krems hat das Wahlverhalten der Austro-Türken bei den Nationalratswahlen 2013 untersucht. Das Ergebnis seiner Studie: Erstens, mehr als die Hälfte der Befragten wählte vor vier Jahren Rot oder Grün. Und zweites, politisches Interesse und Wahlbeteiligung sind in dieser Gruppe unterdurchschnittlich gering. Nur 57 Prozent aller befragten Migranten gaben an, wählen zu gehen, zitierte der Kurier damals Filzmaiers Studie.

Hört man sich rund um den Keplerplatz um, bekommt man einen ähnlichen Eindruck. Drei junge Männer türkischer Abstammung winken ab. „Nein, kein Interview, wir wissen eh nicht, ob wir überhaupt wählen.“ Die türkischstämmige Verkäuferin in einem Schuhladen erklärt in gebrochenem Deutsch, dass sie keine Zeit hätte, um über Politik zu reden – obwohl sich gar kein Kunde im Geschäft befindet. Und Ümiz, der in einem Handyladen jobbt, stellt gleich zu Beginn klar: „Ich habe noch nie gewählt und habe es auch diesmal nicht vor.“  Die Parteien böten einfach keine Themen an, die ihn als jungen Menschen interessierten, sagt der 32-Jährige – und sein aus Serbien stammender Kollege pflichtet ihm bei. „Es geht nur um Pflege und Pensionen und so.“  Und nicht auch um Migration und Zuwanderung? „Ja“, sagt Ümiz. „Ich habe Freunde, die wählen gehen, die sind zum Teil für die FPÖ. Dabei ist das absurd.“ Die meiste Zuwanderung habe es schließlich Anfang der 2000er Jahre unter Schwarz-Blau gegeben. „Die haben sich also ihr Feindbild selbst geschaffen.“

Juwelier Nazer, der seit 17 Jahren in Österreich lebt, ist auch nicht besonders an Politik interessiert. Wählen werde er trotzdem, aus Pflichtbewusstsein, „und zwar die SPÖ“, sagt er. Erstwählerin Sibel (18) erklärt selbstbewusst, dass sie für die Partei stimmen werde, die für Menschen mit türkischen Wurzeln am besten ist. Welche das ist? „Die von Van der Bellen“, antwortet ihre kopftuchtragende Freundin, die ihren Namen nicht nennen will, mit verunsichertem Blick. Falsche Wahlen, noch ein Versuch? „Die SPÖ!“. Und wieso? Weil die auch die Eltern oder Geschwister wählen? „Ja, aber nicht nur.“ – „Nein, weil es meine Meinung ist“, ruft Sibel.

Kufi Seydali

Kufi Seydali, der vor 40 Jahren vom türkischen Teil Zyperns nach Niederösterreich kam, liebäugelt ebenfalls mit der SPÖ. „ÖVP und FPÖ unterscheiden sich mittlerweile kaum mehr in ihrem Diskurs über Ausländer“, sagt der Austrotürke aus Scheibbs, der lange Zeit im zypriotisch-österreichischen Freundschaftsverein aktiv war. Beide Spitzenkandidaten sähen in den Türken und im Islam „den Feind Nummer eins“. „Es wird nicht differenziert zwischen vielleicht 10.000 Erdogan-Anhängern und den 290.000 restlichen Türkischstämmigen, zwischen politischem Islam und ganz normalen Muslimen. Die positiven Aspekte der hier lebenden Türken werden völlig ignoriert“, schimpft Seydali, der zuerst als Maschinenbauingenieur und später im Einkauf eines großen Unternehmens gearbeitet hat und nun Pensionist ist. „Wobei mir der Strache fast noch sympathischer ist als der Kurz, der ist ein Hollywood-Produkt und betreibt reinen Populismus.“

In den Augen von Yusuf Genc, dem Obmann des Österreichischen Atatürk-Vereins mit Sitz im 12. Wiener Gemeindebezirk, hat sich FPÖ-Mann Strache mit Aussagen wie „Islamisierung stoppen“ ganz klar disqualifiziert. „Ich habe mir Auftritte von ihm live angesehen und habe selber Angst bekommen als ich sah, wie sehr er versucht, die Ängste der Menschen zu schüren“, erzählt der 42-jährige Informatiker. Sebastian Kurz´ Worte von Anfang 2015 „der Islam gehört zu Österreich“ gefielen ihm da deutlich besser – doch sie scheinen längst verhallt. „Ich werde daher wieder SPÖ wählen“, sagt der in Österreich geborene Genc, der allerdings zuletzt auch von den Sozialdemokraten etwas enttäuscht ist. „Die SPÖ hat Angst, als Migrantenpartei abgestempelt zu werden und positioniert sich deshalb nicht klar, und das ist nicht ok.“  Schon im Nationalratswahlkampf von 2013 habe man SPÖ-Kandidaten mit türkischen Wurzeln nur auf den aussichtslosen hinteren Plätzen gefunden. „Das zeigt, dass sie es nicht ernst meinen.“

Zwar wird im Wahlkampf 2017 nicht offensiv um die Stimmen der Migranten gebuhlt – doch tatsächlich gab es selten so viele türkischstämmige Kandidaten für das Parlament: Bei der SPÖ-Tirol ist die in Istanbul geborene Selma Yildirim sogar Spitzenkandidatin, in Wien kandidiert Nurten Yilmaz erneut für den Nationalrat, während die Grünen wieder Berivan Aslan und Alev Korun ins Rennen schicken. Efgani Dönmez hingegen, der bis 2015 für die Grünen Oberösterreich im Bundesrat vertrat, kandidiert nun für die ÖVP auf Platz 5 der Bundesliste – bei keiner anderen Partei ist ein Kandidat mit Migrationshintergrund weiter vorn gereiht.

Yavuz Kuşcu

Yavuz Kuscu, der Vorsitzende des Österreichisch-türkischen Handelsverbands, wird voraussichtlich der Liste der ÖVP seine Stimme geben. „Kurz mit seiner neu aufgestellten Partei ist meiner Meinung nach die neue Hoffnung für Österreich und damit auch für Migranten und ausländische Mitbürger“, sagt Kuscu, der seit 1977 in Österreich lebt. Besonders gefällt ihm am ÖVP-Spitzenkandidaten, dass dieser nicht den Islam an sich, sondern den politischen Islam ablehne – „genau wie ich es tue“. Zwar schätze er auch Bundeskanzler Kern und vor allem die großen Sozialdemokraten wie Kreisky oder Vranitzky, die als regelrechte Visionäre viel für Österreich und damit auch für die Migranten getan hätten. Doch die Zeiten hätten sich geändert, bedauert Kuscu. In den vergangenen Jahren habe die SPÖ immer wieder islamistische Vereine, die der AKP oder der islamistischen Organisation Milli Görüs nahestehen, unterstützt. Dass sich SPÖ-Staatssekretärin Muna Duzdar vergangene Woche bei einer Veranstaltung des Österreich-Ablegers der kemalistischen Sozialdemokraten (CHP) davon distanzierte und eine härtere Gangart gegen Erdogan-nahe Vereine ankündigte, kommt für Kuscu zu spät. „Der Zug ist abgefahren. Diese Vereine sind mittlerweile zu stark verankert in Österreich.“ Die SPÖ habe lange Zeit die Wahrheit nicht gesehen – weil sie falsch beraten wurde oder sie schlichtweg nicht sehen wollte. „Und das nehmen ihr viele türkischstämmige Wähler nun übel.“

Ein türkischer Kurde, der mit Frau und Kinderwagen die Favoritenstraße entlangschlendert, würde nicht lange fackeln: „Die Grünen, eine andere Partei kann man hier nicht mehr wählen“, sagt der etwa 45-jährige Mann, der seinen Namen nicht nennen will, im Brustton der Überzeugung. „Ist aber eh egal, weil ich immer noch keine Staatsbürgerschaft habe und somit nicht wählen darf.“  ( 19,09.2017, yenivatan.at)

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